Auf Tour mit Tucholsky
1925 fährt Kurt Tucholsky, einer der bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik, in den Süden Frankreichs. Sein Reisebericht Ein Pyrenäenbuch ist eine ebenso unterhaltsame wie informative Beschreibung von Menschen, Kultur und Landschaft, voller Ironie und bissiger Kommentare gegen Autoritäten jeder Art.

Keine Reise ohne Beichte. Als Kurt Tucholsky vor 100 Jahren von Paris in die Pyrenäen fahren will, muss er zuvor Behörden in gleich drei Ländern aufsuchen und sich ausführlich befragen lassen, um einen Pass zu erhalten: Deutschland, Frankreich und Spanien. Schließlich erhält er eine Genehmigung: „Und da habe ich nun meinen Beichtzettel. Ich sehe die blauen und roten Stempel an, blättre voller Bewunderung in unlesbaren Unterschriften und vielsprachigen Tintenklecksen, falte fromm die Hände ... Dann stecke ich den Pass in die hintere Gesäßtasche und begebe mich auf die Reise in die Pyrenäen.“
Mit der ironischen Einleitung gibt Kurt Tucholsky Thema und Stil seines Reiseberichts vor. Der 1890 geborene Publizist hatte sich in der Weimarer Republik früh einen Namen als gesellschaftskritischer Autor gemacht, der gegen Nationalismus und Kriegsverherrlichung anschrieb. 1924 zog er als Auslandskorrespondent nach Paris. Entsprechend unterbricht er seine Reiseerlebnisse in den Pyrenäen immer wieder durch angriffslustige politische Kommentare gegen die Arroganz der Mächtigen und betont zugleich seine Liebe zu den einfachen Leuten und den Schwachen.
Es war gerade Markt, und die Bauersfrauen, manche bis zu acht Unterröcke stark, saßen auf ihren Gemüsen und wühlten hinter ihren Büdchen. Ein Kerl brüllte über sein Porzellan hin: man dachte, er rufe eine kleine Republik aus.
Zu den besonders Schwachen zählen für Tucholsky die Tiere. Der blutige Stierkampf, den er auf der ersten Station seiner Reise in Bayonne besucht, ist für ihn eine „Barbarei“. Entspannung wiederum bietet die Fahrt entlang der französischen Atlantikküste und gibt Gelegenheit für amüsante Betrachtungen über die reichen Gäste im Nobelort Biarritz. Das Baskenland bereist Kurt Tucholsky auf französischer und spanischer Seite. Er besucht Klöster, die Mönche dort „beten fett“, während die baskischen Bauern „selbstbewusste Kraft, die innre Freiheit“ genießen.
Tucholsky ist mit Bahn, Wagen, zu Pferd und auf Eseln unterwegs. Und zu Fuß. Ein wunderbares Beispiel für die Sprachkunst Tucholskys ist seine Beschreibung einer Pyrenäenwanderung. Voller Selbstironie schildert der korpulente Autor seine Bemühungen, als „Geschöpf aus dem Flachland“ den steilen Auf- und Abstieg zu bewältigen. Im französischen Pau angekommen, folgt er den Spuren seines bewunderten Königs Henri IV., der wie Tucholsky selbst Wein, gutes Essen, Frauen und Freiheit liebte.

Ein konkretes Reiseziel Tucholskys nimmt größeren Raum ein: der Besuch des Wallfahrtsorts Lourdes. Kritisch untersucht er den Hintergrund einer Marienerscheinung der armen Müllerstochter Bernadette, erlebt Massensuggestion, angebliche Wunderheilungen und Kommerz. Doch auch hier spürt man sein Mitgefühl mit den hoffnungsvollen Kranken.
Ein Pyrenäenbuch lebt von der genauen Beobachtungsgabe und ausgefeilten Sprache Kurt Tucholskys. Neben den Besuchen der touristischen Höhepunkte (Cirque de Gavarnie, Pic du Midi, Cauterets, Luchon, Andorra) stehen prägnante Porträts von Einheimischen, Anekdoten, Zitate aus der Literatur, Rückblicke auf die Geschichte, Gedanken über Fortschritt und Natur. Ein Pyrenäenbuch endet mit einer Hymne auf Henri de Toulouse-Lautrec, dessen Werke Kurt Tucholsky in Albi, der Geburtsstadt des Malers, anschauen kann und dessen alte Mutter er in Toulouse besucht.


Ein Pyrenäenbuch ist weit mehr als ein amüsanter Reiseführer, dessen Orte man weitgehend auch heute noch besichtigen kann. Es zeigt den Menschen Kurt Tucholsky, öffnet Zugang zu seinen Gefühlen und seinen klugen Gedanken zur Lage der Welt. Das weiß der Autor selbst nur zu genau: „bei allen Schilderungen, und wenn er fertig ist, darf er nicht sagen: ‚Reise durch die Pyrenäen‘. Er müsste sagen, ‚Reise durch mich selbst.‘“
Lutz Lenz muss sein Haus nur wenige Schritte hinter sich lassen, um die Pyrenäen in der Ferne zu sehen. Der freie Journalist, ehemalige Buchwerber und Deutschlehrer genießt Lesen und Leben in Südfrankreich.
Der Autor
Kurt Tucholsky (1890–1935), geboren in Berlin, studierte Jura. Er war Mitarbeiter der Schaubühne und späteren Weltbühne, die er zeitweilig herausgab. Tucholsky hielt sich seit 1933 in Schweden auf, wo er sich in Hindås am 21. Dezember 1935 das Leben nahm. Neben seinen politischen und humoristischen Textsammlungen wurde er vor allem durch die Sommergeschichten Rheinsberg und Schloß Gripsholm berühmt.
Die Herausgeberin
Julia Finkernagel arbeitet nach einer erfolgreichen Management-Laufbahn nun seit vielen Jahren als Filmemacherin und Buchautorin. Sie ist spezialisiert auf Auslandsreportagen von Osteuropa bis Zentralasien. Von diesen Begegnungen und von ihrer begeisterten Arbeit vor und hinter der Kamera erzählen Julia Finkernagels Ostwärts-Bücher, die zu Bestsellern geworden sind. Zuletzt erschien ihr Buch Reisefieber.