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Willkommen bei den schönen Büchern


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Erzählen gegen das Erstarren

Eigentlich wollte der Schriftsteller David über türkische Super-Malls in Istanbul schreiben. Durchkreuzt wird der Plan von einer Begegnung auf einer Gartenparty in Berlin: Dort trifft David auf die türkisch-armenische Hauptfigur Verkin – wie eine Raumfahrerin sehe sie in ihrem silbernen Pailettenkleid aus, findet er und wie seiner liegen alle Blicke auf ihr und der weißen Vankatze mit den zwei verschiedenfarbigen Augen auf ihrem Arm. Das Tier aus Ostanatolien ist ein Geschenk an die Gastgeberin und gleichzeitig eine Einladung, lesend und schauend mit auf die Reise zu gehen, die David und Verkin bei seinem Gegenbesuch in Istanbul unternehmen. Von dort aus geht es über den Bosporus zur lykischen Küste und im Speisewagen durch Anatolien bis zum Vansee, von dem die Katze ihren Namen hat. Dabei tauchen wir tief in das bewegte Leben von Verkin ein, das mich staunend zurückgelassen hat. Ihr Lieblingsspruch: „Look it up!“ – Schau es nach, das Wissen liegt bereit. Wie der rollende Zug verwehrt sich David Wagners Erzählen dabei immer dem Stehenbleiben und Erstarren, funkelt nur so vor Sprachwitz und setzt der Vereinfachung in der politischen und gesellschaftlichen Realität mit Verkin demonstrativ eine unaufhaltsame „Raum“-Fahrerin vor.

Laura Benner arbeitet in der Programmabteilung im Bereich Rechte und Lizenzen und unterstützt bei der Suche nach literarischen Perlen.

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Nachtzugtage, Tagzugtage, Nachtfahrten, Tagträume

Schon der Titel weckt bei mir Kindheitserinnerungen und Sehnsüchte nach nicht allzu fernen Ländern, aber auch nach dem Weg dorthin. Im Zug sitzen oder aber auch aufstehen und durch den Gang wandern, aus dem Fenster schauen, relativ bequem schlafen, lesen, beobachten, all das macht schon den Weg zu einer neuen Erfahrung.

Neben der Möglichkeit des Schlafens im Zug und also irgendwie ohne Zeitverlust voranzukommen, erzählt Millay Hyatt in Nachtzugtage von den wertvollen, erhellenden Begegnungen, die sie auf ihren Reisen erlebt. Die geplanten Umsteigetage, bei denen sie verschiedene Orte erkundet, bereichern ihre Reisen noch einmal mehr. Sie beschreibt auch, dass neben den schönen Erlebnissen zusätzlich die eigene Flexibilität und Geduld geschult wird: Man muss sich dem Fahren und seinem Schicksal nämlich hingeben und sich auf Mitreisende, Zugbegleiter:innen, auf Verspätungen und andere Probleme einlassen. Abschreckend ist das aber gar nicht, sondern es erscheint wie eine Chance, einmal anders aufs Leben zu schauen. Ich habe mit der Planung meiner nächsten Zugreise, zumindest in Gedanken, schon begonnen.

Nicole Duplois versucht, sich noch mehr Zeit fürs Lesen freizuhalten und wirkt in der Herstellungsabteilung an verschiedenen Ecken und Enden mit.

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Die Geister, die nicht schliefen

Wolfram Eilenberger legt mit Geister der Gegenwart einen Abriss der westlichen Nachkriegs-Philosophie und den Aufbruch in eine neue Aufklärung vor. Fast schon erfrischend anspruchsvoll und wissenschaftlich führt Eilenberger uns nicht nur durch die Biografien von Adorno, Sontag, Foucault, Feyerabend et al. Im Fokus stehen auch die Essenzen der jeweiligen Philosophien, ihre Anker- und Wendepunkte. Dieses Buch ist eine Vorlesung über das neuerliche Erlangen von Geistesgegenwärtigkeit (im Sinne der Kant’schen Mündigkeit) – und zwar eine, die mitreißt, wenn man selbst gerne denkt.

Falls Sie Perspektiven der Geschichte suchen, die abseits derzeit vorherrschender Formen des akademischen Philosophierens liegen (wie Eilenberger im Nachwort schreibt), kann ich Ihnen die Geister der Gegenwart wärmstens empfehlen!

PS: Ein Blick unter den Schutzumschlag lohnt sich – ich finde die Vignette besonders gelungen.

Pascal Wandke unterstützt als Assistent den Geschäftsführer. Er liebt Bücher, kann sich aber nicht entscheiden ob nun eher den Inhalt oder die Gestaltung. – „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust […].“ 

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Das winzige Rinnsal neben den Heldenliedern

Der Trojanische Krieg ist der vielleicht größte Mythos der europäischen Kulturgeschichte. Doch die gängigen Schilderungen von Troja – sei es nun Homers Ilias oder der Hollywood-Film Troja (2004) – sind vor allem eins: männliche Geschichten. Genau hier, an diesen Leerstellen einer männlichen Geschichtsschreibung, setzt Christa Wolf mit Kassandra (1983) an. Für die Autorin wird Kassandra zu einer Symbolfigur weiblicher Existenz, Unmündigkeit und Objekthaftigkeit. Wolf erzählt ihre Geschichte neu, herausgelöst aus dem männlichen Mythos, und stiftet so eine weibliche Geschichtsschreibung.

Kassandra, ein intensiver wie vielschichtiger Roman, ist dabei aber vor allem eins: Die Erzählung einer Frau, die unvorstellbares Leid erlebt und daraus auf der Suche nach Autonomie und ihrem eigenen Ich Stärke entwickelt, erzählt mit einer Dringlichkeit und Emotionalität, die einen in ihren Sog zieht.

Maria Voßhagen, arbeitet als Werkstudentin im Digitalteam der Büchergilde, hat vor kurzem noch eine Hausarbeit zu Kassandra geschrieben und wäre gerne 1982 bei Christa Wolfs Poetikvorlesung dabei gewesen. 

Ankündigung: Neuerscheinungen im Juni 2025


Belletristik

  • Clemens Böckmann, Was du kriegen kannst
  • Samantha Harvey, Umlaufbahnen
  • Cristina Henrìquez, Der große Riss
  • Daniel Glattauer, In einem Zug
  • Michael Köhlmeier, Die Verdorbenen
  • Richard Powers, Das große Spiel
  • Ron Rash, Der Friedhofswärter
  • Jaqueline Scheiber, dreimeterdreißig
  • Josephine Tey, Wie ein Hauch im Wind (Klassiker/Spannung)


Neues in den Büchergilde-Reihen

  • Büchergilde Weltempfänger: Victor Heringer, Die Liebe vereinzelter Männer
  • Büchergilde unterwegs: Kurt Tucholsky, Ein Pyrenäenbuch

Illustrierte Titel

  • Thomas Mann; Karl-Georg Hirsch (Ill.), Der kleine Herr Friedemann (Überarbeitete Nachauflage)


Biografische Schriften

  • Gabriele Tergit, Im Schnellzug nach Haifa


Sachbuch

  • Volker Weiß, Das Deutsche Demokratische Reich
  • Volker Heise, 1945