Wo bitte geht’s zur Posttonne?


Eine Wiederentdeckung: Vor mehr als 60 Jahren erschien bei der Büchergilde der abenteuerliche Bericht einer Kölnerin, die Anfang der 1930er-Jahre nach Galapagos auswanderte. Das Buch, längst ein Klassiker der Reiseliteratur, gibt es nun wieder exklusiv bei der Büchergilde.

175452_Wittmer_Floreana_3D_01.png

Im Sommer 1959 kam eine Besucherin von weit her zur Büchergilde nach Frankfurt am Main: Margret Wittmer reiste von den Galapagosinseln an, im Gepäck viele Seiten ihrer Aufzeichnungen über ein ungewöhnliches Leben mitten im Pazifik. Zusammen mit ihrem Mann Heinz und dessen 13-jährigem Sohn Harry war die gebürtige Kölnerin 27 Jahre zuvor auf die Galapagosinsel Floreana ausgewandert, tausend Kilometer vom Festland Ecuadors entfernt, zu dem der Archipel gehört, und etwa zwölftausend Kilometer von Deutschland. Ihre Erlebnisse seither hatte sie in Tagebuchform notiert – dass daraus ein Buch werden musste, war dem damaligen Verleger der Büchergilde Helmut Dreßler ebenso klar wie Heinrich Scheffler, einem befreundeten Verleger Dreßlers. Und so wurde Margret Wittmer im Frankfurter Verlagshaus von Heinrich Scheffler ein Zimmer zur Verfügung gestellt, in dem sie ihre Notizen überarbeiten konnte.

175452_Wittmer_Floreana_FR_02.jpg

Im August 1932 setzten die Wittmers zum ersten Mal einen Fuß auf die Insel Floreana. Allein die Anreise war ein Abenteuer: per Schiff von Rotterdam wochenlang bis zur ecuadorianischen Hafenstadt Guayaquil, von dort aus sieben Tage und sieben Nächte auf die Hauptinsel der Galapagosinseln San Cristóbal und dann noch einmal mehrere Tage, bis die kleine Familie endlich die kleine Insel betrat, die ihr Zuhause werden würde. Allzu viel Blumiges, wie der Name Floreana es verheißen könnte, fand sie dort nicht vor: Die Insel war schroff, mit dunklem Sand und schwarzem Lavagestein. Immerhin gab es eine Süßwasserquelle.

Es halfen nur Erfindungsgeist und auch eine gewisse deutsche Disziplin, um es sich dort einzurichten und jeden Tag das Essen auf den Tisch zu bringen. Und immer wieder paciencia – Geduld mussten die Wittmers jede Menge haben, wenn beispielsweise ihre Ernte durch Stiere vernichtet wurde oder wilde Hunde – verwilderte Haustiere gab es so einige auf der Insel – sich an ihren Essensvorräten bedienten. Allein Briefe und Päckchen brauchten meistens Monate, bis sie von einem der vorbeifahrenden Schiffe in die Posttonne geworfen wurden, die von Walfängern im 19. Jahrhundert aufgestellt worden war.

175452_Wittmer_Floreana_BA_05.jpg

Geduld war auch mit den wenigen anderen Inselbewohnerinnen und -bewohnern gefragt, kurioserweise lauter Deutsche: zunächst mit dem Arzt Dr. Friedrich Ritter und seiner Lebensgefährtin Dore Strauch, die ein Einsiedlerdasein im Einklang mit der Natur führten (oder das zumindest proklamierten), und bald darauf mit der selbst ernannten Baronin Eloise Wagner de Bousquet und den drei Männern in ihrem Gefolge. Ritter war kein sehr zugänglicher Geselle, doch entgegen seiner Aussage, nicht mehr als Arzt praktizieren zu wollen, war er doch zur Stelle, nachdem Margret Wittmer Anfang 1933 ihren Sohn Rolf ganz allein in einer alten Seefahrerhöhle zur Welt gebracht hatte und danach ein ärztlicher Eingriff erforderlich war. Die gern mit Reitpeitschen und Pistolen fuchtelnde Baronin hingegen brachte mit ihren Plänen, ein Luxushotel auf Floreana zu errichten, wahren Unfrieden auf die kleine Insel.

Es entwickelte sich schließlich eine Art Krimi, der der Nachwelt bis heute Rätsel aufgibt: Dr. Ritter stirbt unter ungeklärten Umständen – er, der Vegetarier, hatte möglicherweise verdorbenes Fleisch gegessen; und die Baronin und einer ihrer Begleiter sind auf einmal wie vom Erdboden verschluckt. Ob sich hinter alldem ein Verbrechen verbirgt, gar die Wittmers die Hand im Spiel gehabt haben könnten, konnte nie geklärt werden und ist auch heute noch Thema zum Beispiel im Podcast „Tod unter Palmen – Die Galapagos-Affäre“ oder in der Doku „Der Galapagos-Krimi“ (abrufbar in der ZDF-Mediathek). Auch der Schriftsteller Georges Simenon reiste auf die Insel und verfasste eine Artikelserie zu den Vorkommnissen und den Roman Hotel „Zurück zur Natur“ . Tatsache ist, dass das Leben der Wittmers ohne diese skurrile Nachbarschaft etwas leichter wurde.

175452_Wittmer_Floreana_BA_07.jpg

Was hatte Heinz Wittmer, ehemals Sekretär des damaligen Oberbürgermeisters von Köln Konrad Adenauer, und seine Frau Margret überhaupt in diese abgelegene Weltgegend verschlagen? Vermutlich hatten sie Ritters in vielen internationalen Zeitungen veröffentlichte Artikel über das Leben in der unberührten Natur angelockt. Außerdem hatten sie mit Faszination das Buch Galápagos, das Ende der Welt von William Beebe gelesen. Darin beschreibt der englische Wissenschaftler die Insel als einen Ort der Ruhe und des Friedens. Hinzu kam, dass Sohn Harry an einer Augenkrankheit litt und an einer nicht näher benannten Behinderung, die Ärzte empfahlen ihm wohl ein besseres Klima und mehr Ruhe. Vielleicht spielte auch die Weltwirtschaftskrise eine Rolle.

In ihrem Buch, das Margret Wittmer in Frankfurt verfasste, geht sie auf ihre Beweggründe nicht näher ein. Sie blieb ein knappes Jahr in Deutschland und freundete sich mit der Frau des Büchergilde-Verlegers Luise Maria Dreßler an, eine Freundschaft, die ein Leben lang hielt. Luise Maria Dreßler besuchte die Familie zweimal auf Floreana, und die beiden Frauen schrieben sich regelmäßig Briefe. Noch heute erinnert sich die mittlerweile fast 102-jährige Luise Maria Dreßler lebhaft an ihre Aufenthalte auf der Insel und an die Gespräche mit Margret Wittmer.

175452_Wittmer_Floreana_BA_06.jpg

Einige Jahre lang waren die Wittmers die einzigen Siedler auf der Insel, während ihre Familie wuchs: 1937 kam Tochter Ingeborg-Floreanita zur Welt, ganz ohne ärztliche Hilfe. Aber langweilig wurde ihnen nicht, denn zum einen ging die Arbeit nie aus, zum anderen landete immer wieder Besuch bei ihnen, darunter auch hochrangiger: der US-Präsident Franklin D. Roosevelt schaute vorbei (den die Wittmers allerdings verpassten – der Fußweg vom Haus bis zur Anlegestelle von Schiffen dauerte Stunden) oder der norwegische Forschungsreisende Thor Heyerdahl. Dazwischen wurden unter der Äquatorsonne Geburtstage und Weihnachten gefeiert, ganz traditionell mit Baum und Plätzchen und „Leise rieselt der Schnee“.

So abgeschieden die Inseln auch liegen, der Krieg machte auch vor ihnen nicht halt. Auf einer Nachbarinsel wurde eine US-Marinestation errichtet, und als Deutsche standen die Wittmers unter besonderer Beobachtung. Skurril wurde es, als nach der Kapitulation ein Trupp Soldaten auf Floreana nach dem vermeintlich untergetauchten Hitler suchte … Viele Abenteuer später, darunter ein Vulkanausbruch auf der Nachbarinsel, massive Überschwemmungen, Hochzeiten und Schicksalsschläge, stand für Heinz und Margret Wittmer immer noch fest:

Wir haben dieses Leben gesucht. Und wir sind glücklich dabei.

Corinna Santa Cruz hat vor vielen Jahren auch mal die Galapagosinseln besucht, Floreana aber leider nur von Weitem gesehen.

Banner_Wittmer_Floreana_INST1_1080x1080.jpg

Die Autorin

Margret Wittmer, geboren in Köln am 12. Juli 1904, starb im Jahr 2000 mit 95 Jahren auf Floreana, sie hinterließ eine große Familie. Ihr Buch dokumentiert ein abenteuerliches Frauenleben fernab der Zivilisation.


Die Herausgeberin

Julia Finkernagel arbeitet nach einer erfolgreichen Management-Laufbahn nun seit vielen Jahren als Filmemacherin und Buchautorin. Sie ist spezialisiert auf Auslandsreportagen von Osteuropa bis Zentralasien. Von diesen Begegnungen und von ihrer begeisterten Arbeit vor und hinter der Kamera erzählen Julia Finkernagels Ostwärts-Bücher, die zu Bestsellern geworden sind.


Rund ums Buch

Watch on YouTube

BÜCHERGILDE unterwegs


Abonnement BÜCHERGILDE unterwegs