Ein Fremdling in unserer Mitte
Große Erzählkunst von Katherine Mansfield
Die neuseeländisch-britische Autorin Katherine Mansfield porträtiert in ihrem Erzählband In einer deutschen Pension menschliche Eigenheiten und Lebensumstände ihrer Zeit – vortrefflich beobachtet, mit trockenem Humor und sehr kurzweilig geschrieben. Eine absolut gelungene Wiederentdeckung zu ihrem 100. Todestag.
Ha – schon wieder! Ich erwische mich, wie ich bei der Lektüre der Kurzgeschichten von Katherine Mansfield erneut auflache. So was passiert mir beim Lesen wahrlich nicht oft. Doch es ist einfach unterhaltsam, fühlt sich modern und nach großer Erzählkunst an, wenn Mansfield pointiert die Gäste und Gespräche eines bayerischen Kur-Etablissements im frühen 20. Jahrhundert porträtiert.
Mit nur 23 Jahren debütierte Katherine Mansfield mit dem Kurzgeschichtenband In einer deutschen Pension und etablierte sich schnell zu einer Meisterin der short story. 1888 in Wellington geboren, wächst Mansfield zwischen dem damals noch britischen Kolonialgebiet und London auf und verfolgt bereits früh ihre Leidenschaften für Musik und Literatur. Im Kulturbetrieb aber bleibt sie zunächst eine Außenseiterin. In England ist sie „eine aus den Kolonien“, bei einem Besuch in Deutschland „eine von der Insel“ – Zwischenzustände, mit denen sie sich auseinandersetzte, die ihren Blick schärften und von denen sie in ihrer Position als teilnehmende Beobachterin profitierte.
Ein Erholungsaufenthalt führt sie 1909 ins bayerische Bad Wörishofen, den Ort, an dem die Behandlungsmethoden der „Kneipp-Kur“ erfunden wurden, die durch Wasseranwendungen, Bewegung und Ernährung Krankheiten lindern soll. Die deutsche Provinz und die illustren Gäste der Pension fordern ihre Beobachtungsgabe wie auch ihre Fabulierkunst heraus. Sie formt daraus humorvoll überzeichnete Einblicke ins Kurgeschehen: Statt Schonkost serviert die Pension bergeweise Fleisch, Sauerkraut, Kartoffeln und Kirschkuchen. Alles, bei dem nur ein Hauch von Adel mitschwingt, wird umschwebt (und betratscht) – ein Dichter hängt sogar so ehrfurchtsvoll an den Lippen einer Baronin, dass seine Krawatte im Kaffee baumelt. Jedes zweite Gespräch dreht sich um eheliche Pflichten und „ganze Hände voll Babys“, und besonders gern heben die Kurgäste die Unterschiede zwischen deutschen Gepflogenheiten und englischem Gemüt hervor, womit sie sich auch vor der jungen Mansfield nicht zurückhalten, die zuhört und später notiert.
Ihre Beobachtungen kamen sehr gut an: Im spannungsgeladenen Verhältnis der beiden Länder gefielen dem englischen Publikum die satirischen Kommentare gegenüber Deutschland. Mansfield selbst stand ihren Text-Karikaturen später kritisch gegenüber, bezeichnete sie als „unreif“. Ihr trockener Humor und die Prägnanz ihrer szenischen Beschreibungen bestehen jedoch den Test der Zeit.
Zumal In einer deutschen Pension ebenso Geschichten versammelt, in denen Mansfield einen ernsthaften Ton anschlägt und die sie als brillante realistische Erzählerin ausweisen. Schonungslos schreibt sie über verschiedene Probleme ihrer Zeit, die körperlichen Anstrengungen handwerklicher Berufe oder Dienstbotenanstellungen, Gesellschafts- und Geschlechterhierarchien, unablässige Schwangerschaften in Kombination mit ignorant-abwesenden Ehemännern.
Mit dieser Ausgabe von In einer deutschen Pension lässt sich genussvoll eine zu früh verschiedene Autorin (Mansfield starb im Alter von nur 34 Jahren an Tuberkulose) des 20. Jahrhunderts entdecken, und das auf dreifache Weise: durch eine vortreffliche Sammlung an Erzählungen, umspielt von den abstrakt-bunten Illustrationen von Joe Villion, sowie die über 70 Seiten umfassende biografische Notiz der Übersetzerin Elisabeth Schnack, die einen guten Überblick über Mansfields Leben gibt und Themen und Tonalität ihrer Erzählungen einordnet.
Marlen Heislitz empfiehlt zur Lektüre Pfefferminztee und ein bequemes Sofa. Vielleicht auch ein Kirschküchlein.
Die Autorin
Katherine Mansfield (1888–1923), geboren in Wellington, Neuseeland, studierte am Londoner Queens College. Ab 1908 lebte sie in Europa, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Nach der Scheidung von ihrem ersten Ehemann heiratete sie den Literaturkritiker John Middleton Murray. Ihre produktivste Schaffensphase war überschattet von Einsamkeit, Entfremdung und einem sich verschlimmernden Tuberkulose-Leiden.1923 verstarb sie im Alter von nur 34 Jahren.
Die Illustratorin
Joe Villion, geboren 1981 in München, wuchs in Italien und Griechenland auf und lebt seit 2001 in Berlin. Dort studierte sie Illustration an der Universität der Künste. 2010 gewann sie den Gestalterpreis der Büchergilde für Zazie in der Metro, 2011 erhielt sie dafür das Ehrendiplom der Stiftung Buchkunst für ausgezeichnete buchkünstlerische Leistungen.