Preis
26,00 €
Im Mai 2017 rief die UN-Vollversammlung den 30. September zum International Translation Day aus. Seitdem werden an diesem Tag Übersetzer:innen, Dolmetscher:innen und Terminolog:innen für ihren maßgeblichen Beitrag zur Verständigung zwischen den Nationen gewürdigt. Auch für die Buchbranche sind Übersetzerinnen und Übersetzer unverzichtbar. Sie ermöglichen den Genuss von Literatur weit über Länder- und Sprachgrenzen hinaus. Holger Fock und Sabine Müller, die preisgekrönten Übersetzer:innen von Mohamed Mbougar Sarrs Meisterwerk Die geheimste Erinnerung der Menschen, erzählen im Büchergilde-Interview von ihrer Arbeit und von den Freuden und Hürden des Übersetzer:innen-Daseins.
Herzlichen Glückwunsch zum Paul-Celan-Preis, den Sie dieses Jahr für Ihr übersetzerisches Gesamtwerk erhalten haben. Ebenso herzlich gratulieren wir Ihnen zur Auszeichnung mit dem Internationalen Literaturpreis 2023 vom Haus der Kulturen der Welt, den Sie gerade gemeinsam mit dem Autor Mohamed Mbougar Sarr für den Roman Die geheimste Erinnerung der Menschen erhalten haben. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen?
Großes Glück und Anerkennung für drei Jahrzehnte Arbeit. Beim Celan-Preis sind wir stolz, in einer Reihe mit all den großartigen Übersetzer:innen zu stehen, die vor uns diesen Preis erhalten haben. Beim Internationalen Literaturpreis ist besonders schön, dass mit den Autor:innen auch die Übersetzer:innen ausgezeichnet werden. Last but not least freuen wir uns über die Preissummen, die uns das Leben enorm erleichtern.
Welche Besonderheiten bot der Roman Die geheimste Erinnerung der Menschen von Mohamed Mbougar Sarr für Sie als Übersetzer:innen?
Zuerst die vielen ineinander geschachtelten Dialoge mit verschiedenen Zeitebenen, die sich über ein Jahrhundert erstrecken. Das für den Leser so kenntlich zu machen, dass er sich nicht in der Lektüre verirrt, war teils sehr schwierig.
Dann die vielen Stilebenen: Eingestreut sind Tagebucheinträge, fiktive Zeitungsartikel, Briefe, innere Monologe etc. Dazu Anspielungen auf und Subtexte von afrikanischen und internationalen Autoren (Baudelaire, Ouloguem, Senghor, Bolaño, Gombrowicz etc.), die deutlich machen, dass es kein „afrikanischer“, sondern ein globaler Roman ist, buchstäblich „Weltliteratur“.
Wie übersetzt es sich als Team?
Wir teilen den Originaltext nicht auf, sondern arbeiten abwechselnd den gesamten Text durch. Schwierige Texte wandern bis zu sieben Mal zwischen uns hin und her. Wir nutzen die Kommentarfunktion zur Begründung unserer Entscheidungen, sprechen aber erst am Ende über Alternativen. Diskussionen zu einem früheren Zeitpunkt haben sich als zeitraubend und unwirtschaftlich herausgestellt. Während des Überarbeitens entfaltet sich die Übersetzung zunehmend als Ganzes. Mancher Streit um die „richtige“ Übertragung löst sich auf, wenn die Übersetzung an Konsistenz gewinnt.
Wortspiele, Humor und Sprichwörter sind wichtige Bestandteile literarischer Texte. Wo lohnt sich der Einsatz von KI beim Übersetzen von Literatur und wo nicht?
Wir haben bisher keine hilfreichen Erfahrungen mit Übersetzungsmaschinen gemacht. Sie liefern ihre Ergebnisse aufgrund eines numerischen Abgleichs mit Milliarden von Texten, aber sie verstehen den Text nicht, sie besitzen nicht das, was wir „Erfahrung“ nennen. Sie haben keine Ahnung von Stil, Tonalität, Rhythmus etc. Zum Auffinden idiomatischer Wendungen kann KI nützlich sein, aber sobald Sätze und Inhalte komplizierter sind, häufen sich falsche Bezüge, falsche Pronomina und infolge dessen auch die falsche Wortwahl.
Was ist Ihre Einschätzung der aktuellen Lage in der Übersetzer:innen-Branche?
Sie war nie gut, aber seit 20 Jahren wird es immer prekärer. Die Mini-Umsatzbeteiligungen, die wir seit den BGH-Urteilen von 2010 bekommen, sind zu gering, werden von einigen Verlagen immer wieder systematisch unterlaufen. Seit mehr als 10 Jahren sind die Seitenhonorare nicht mehr gestiegen, angesichts der Inflation ein Einkommensverlust von 20 bis 25%. Am deutlichsten zeigt das unser jährlicher Rentenbescheid: Bei gleichbleibendem Einkommen gibt es von Jahr zu Jahr weniger Rentenpunkte, manchmal schafft man nicht einmal die 0,3 Punkte, die man für die Grundrente bräuchte, Altersarmut ist vorprogrammiert. Ohne Stipendien und Preise können Übersetzer:innen meist nicht von ihrer Arbeit leben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Preis
26,00 €
Holger Fock, geboren 1958 in Ludwigsburg, studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Philosophie. Er übersetzt seit 1983 französische Belletristik und wissenschaftliche Literatur.
Sabine Müller, geboren 1959 in Laufen am Neckar, übersetzt seit 25 Jahren aus dem Englischen und Französischen. 2020 wurde sie mit dem Exzellenzstipendium des Deutschen Übersetzerfonds ausgezeichnet. 2011 erhielten Fock und Müller den Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis.
Mohamed Mbougar Sarr, geboren 1990 in Dakar, wuchs im Senegal auf und studierte in Frankreich Literatur und Philosophie. Er hat bereits drei Romane veröffentlicht, für die er u. a. mit dem Prix Stéphane Hessel und dem Grand prix du roman métis ausgezeichnet wurde. 2021 erhielt er für diesen Roman den Prix Goncourt.
Der Roman Leonard und Paul ist anders, denn er feiert die Stille. Rónán Hession schafft mit seiner unnachahmlichen Erzählstimme, dem liebevollen Umgang mit seinen Figuren und dem feinen, nie verletzenden Humor eine Atmosphäre, die an die ursprüngliche Tradition des Geschichtenerzählens anknüpft. ‚Leonard und Paul‘ bietet Leser:innen einen sicheren Raum, wo Entschleunigung und Entspannung möglich ist. Als Literaturübersetzerin ist es meine Aufgabe und mein Wunsch, dem deutschen Lesepublikum ebenjene Leseerfahrung zu schenken, nach der sich in der heutigen Zeit offenbar viele Menschen sehnen.