Widerstand und scharfe Soße
Döner: Nachdenkliche Töne und originelle Anekdoten zu Deutschlands beliebtesten Fast Food
Der Journalist und Soziologe Eberhard Seidel untersucht in Döner. Eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte, wie eng das beliebte Imbissgericht mit der Migrationsgeschichte in der Bundesrepublik verknüpft ist. Im Interview mit der Büchergilde spricht er über Einwanderung, Food-Hypes und Xenophobie.

Zu Beginn Ihres Buches sagen Sie: „Döner ist Punk“. Was ist Punk am Döner?
In seinem Ursprung hatte der Döner etwas Rotziges, weil er von einer Gruppe nach Deutschland gebracht wurde, die sich trotz rassistischer Gesetzgebungen selbstbewusst und unbeirrt durchgesetzt hat. Ähnlich wie der Punk wurde der Döner von gesellschaftlich am Rande stehenden Menschen in die Mitte der Gesellschaft gehoben und ist jetzt sogar im Hotel Adlon in der sogenannten Hochkultur angekommen, sprich in den finanzstarken Kreisen – und dabei immer auch Straßenessen geblieben.

Die Mehrheitsgesellschaft hat die Eingewanderten für soziale Verwerfungen und gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht. Ich finde spannend, wie diese Gruppe darauf reagiert hat. Der Döner war auch eine Widerstandsaktion. Diese große Erzählung von Rassismus- und Emanzipationsgeschichte muss man beschreiben.
Sie beschäftigen sich seit den 1980er-Jahren mit dem Döner. Wie kam es dazu?
Als ich 1977 nach Berlin zog, war die Ernährungslage in der Stadt furchtbar. Der erste Döner, den ich gegessen habe, hat mir gut geschmeckt. Vor allem aber hat er mich als gesellschaftliches und kulturpolitisches Phänomen interessiert, weil ich mich viel mit Migration, besonders der aus der Türkei, beschäftigt habe.
Wenn man sich die deutsche Geschichte anschaut, war die Gesellschaft immer pluralistisch, bis sie im Nationalsozialismus zwangsweise homogenisiert wurde. Als die Einwanderer aus der Türkei in die deutsche Nachkriegsgesellschaft kamen, prägte sich dann ein antitürkisches Ressentiment aus. Mich haben die faschistischen und rassistischen Kontinuitäten interessiert: In den 1970ern und vor allem 1980ern waren völkische Ideologien bis ins Bürgertum ein Phänomen der Gesellschaft, wie etwa das „Heidelberger Manifest“ beweist. Die Mehrheitsgesellschaft hat die Eingewanderten für soziale Verwerfungen und gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht. Ich finde spannend, wie diese Gruppe darauf reagiert hat. Der Döner war auch eine Widerstandsaktion. Diese große Erzählung von Rassismus- und Emanzipationsgeschichte muss man beschreiben.

Ob Istanbul, Berlin, Frankfurt oder vielleicht auch Reutlingen – um die Erfindung des Döner Kebaps als Street Food ranken sich viele Mythen und Legenden. Warum ist das kulturell so aufgeladen?
Die Event-Gesellschaft möchte immer wissen, wer der Erste oder Beste ist. Aber so funktioniert Geschichte nicht. Der Döner ist ein Produkt des Osmanischen Reichs, zu dem nicht nur Türken, sondern auch Griechen und Menschen aus dem arabischen Raum gehörten. In den Küchen gab es einen transkulturellen Austausch, und mit dem Döner war das ebenfalls so. Deswegen habe ich das Kapitel über mit Dampfkraft betriebene Dönerspieße im Damaskus des 16. Jahrhunderts verfasst. Und auch der „Erfinder“ des Iskender Kepab hat ihn 1867 natürlich nicht erfunden, sondern nur popularisiert.




Wie sehr ist der Döner Teil der deutschen Identität?
In den fünfzig Jahren, seit es den Döner in Deutschland gibt, hat sich eine ganze Menge geändert. Die hier geborene und aufgewachsene Generation hat die Position, sich stärker in die Gesellschaft einzumischen, und viele Kartoffeldeutsche sind familiär oder am Arbeitsplatz verbunden mit der Türkei. Das ist eine positive Entwicklung. Wenn Elon Musk den Döner als sein Lieblingsessen aus Deutschland bezeichnet, kommt das von jemandem, der von außen auf die Gesellschaft blickt. Was als „typisch deutsch“ gilt, hat sich von Grund auf verändert – und der Döner ist jetzt typisch deutsch.

Haben Sie es als Herausforderung empfunden, die „türkisch-deutsche Kulturgeschichte“, wie der Untertitel von Döner lautet, aus Ihrer Perspektive als Deutscher ohne türkische Wurzeln zu schildern?
Man muss sich natürlich klarmachen, aus welcher Sprecherposition man schreibt: Ich bin aufgewachsen in einem deutsch-völkischen Umfeld der unterfränkischen Provinz und habe mich damit auseinandergesetzt. Und mit der Türkei habe ich mich intensiv beschäftigt, seit ich 1969 im Alter von 13 zum ersten Mal in das Land gefahren bin. Mich hat das alles beeindruckt; es war auch der Zünder, um die Provinz hinter mir zu lassen.
Heute bin ich mit meinem Projekt „Schule ohne Rassismus“ mehr aktivistisch unterwegs, aber früher, als ich als Journalist gearbeitet habe, gab es aus der Community selbst nicht viele Menschen, die geschrieben haben. Ich habe meine Position als die eines Übersetzers verstanden, um einem anderen Milieu eine bestimmte Situation zu zeigen.
1996 haben Sie mit Aufgespießt Ihr erstes Buch über den Döner Kebap veröffentlicht. Warum jetzt dieses neue Buch?
Seitdem ist viel passiert. Als ich das Buch geschrieben habe, waren Mölln und Solingen drei, vier Jahre her, und ich war optimistisch, dass sich das Land weiterentwickeln würde, kurz darauf hat sich auch das Staatsangehörigkeitsrecht geändert.
Doch mit dem 11. September und der Ermordung von Theo van Gogh hat sich eine sehr xenophobe Stimmung ausgebreitet. Aus Türken wurden im Diskurs plötzlich „Muslime“. Und dann war die Rede von „Döner-Morden“, der Mordserie durch den NSU, wodurch eine Täter-Opfer-Umkehr geschah, weil Behörden rechtsextremistische Gewalt nicht erkannten. Der Gammelfleisch-Skandal wurde als „Döner-Mafia“ bezeichnet, dabei waren die Verursacher Urdeutsche aus München und Gelsenkirchen. Das sind wichtige Punkte, die ich aus der Jetztzeit reflektieren wollte.
Was als ‚typisch deutsch‘ gilt, hat sich von Grund auf verändert – und der Döner ist jetzt typisch deutsch.
Sie schätzen, dass es seit der Wiedervereinigung rund 1000 Angriffe auf Dönerimbisse in Ostdeutschland gab. Wie kommen Sie auf diese Zahl?
Dönerimbisse sind das sichtbare Zeichen einer Gruppe, die für sich reklamiert, Teil der Gesellschaft zu sein und auch Geschäfte zu machen, was jeder Vorstellung von Neonazis widerspricht. Auf die Zahl 1000 komme ich aufgrund einer Untersuchung in Brandenburg über einen Zeitraum von vier, fünf Jahren und weil ich ein Paar, das in Hoyerswerda eine Dönerbude eröffnet hat, über einen langen Zeitraum begleitet habe, außerdem habe ich Berichte von Lokalzeitungen ausgewertet. Die Dimension hat auch mich schockiert
Wieso bekommen diese rassistischen Taten überregional so wenig Aufmerksamkeit?
Das hängt mit der Rassismusgeschichte und der Wahrnehmung von Rassismus in Deutschland zusammen. Es gab in Westdeutschland in den 1980ern rassistische Anschläge wie in Duisburg [1984 kamen bei einem Brandanschlag sieben Menschen ums Leben, Anm. d. Red.], die von der Gesellschaft nur am Rande wahrgenommen wurden. Und nach der Öffnung der Mauer erfolgte eine „völkische Offensive“ mit vielen Übergriffen und einer Alltäglichkeit von rassistischer Gewalt. Das hat mit rechtem Fühlen und Denken zu tun. Die Mehrheitsgesellschaft vergewissert sich ihrer eigenen „Fortschrittlichkeit“ anhand anderer, „fremder“ Gruppen selbst. Gerade bei antitürkischer Gewalt besteht eine gesellschaftliche Unsensibilität.

Zuletzt noch die Geschmacksfrage: Mit Soße oder ohne – wie essen Sie Ihren Döner?
Mit scharfer Soße!
Die Fragen stellte Isabella Caldart.


Der Autor

Eberhard Seidel, geboren 1955 in Sommerhausen, studierte Soziologie und lebt in Berlin. Er hat viele Jahre als freier Journalist gearbeitet, war dann Meinungsredakteur und Leiter des Inlandsressorts der taz. Seit 2002 ist er Geschäftsführer der Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Er ist Autor von Büchern über Migration, Islamismus, Rechtsextremismus und jugendliche Subkulturen.
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