„Das Lesen von Literatur sollte nie eine Pflichtveranstaltung sein.“


Autor César Aira im Gespräch über seine Novellen Der kleine buddhistische Mönch \ Wie ich Nonne wurde \ Was habe ich gelacht

Lange Zeit war der argentinische Autor César Aira ein Geheimtipp der spanischsprachigen Literaturwelt. Mittlerweile sind seine Bücher und Novellen in zahlreiche Sprachen übersetzt worden und begeistern ein internationales Publikum. In der neuen Reihe Büchergilde Weltempfänger sind die Novellen Der kleine buddhistische Mönch, Wie ich Nonne wurde und Was habe ich gelacht in einem Band erschienen. Im exklusiven Büchergilde-Interview sprach César Aira über seine Liebe zu kurzen Texten und die absurden, phantastischen Theorien seiner Figuren.

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Unter Ihren Protagonisten finden sich winzige buddhistische Mönche, Prinzessinnen, ein Junge (oder ist es ein Mädchen?), der sich unsichtbar fühlt und einen Freund hat, der mit seinen sieben Jahren Anzug und Krawatte trägt ... Woher kommt diese Vorliebe für Randfiguren?

Normalen Menschen passieren normale Dinge. Und auch wenn das das vorherrschende Prinzip des Realismus ist, braucht die Art Realismus, an der ich Gefallen finde, Figuren jenseits des Alltäglichen, die ihre Eigenartigkeit den Orten übertragen, an denen sie unterwegs sind, und den Dingen, die ihnen zustoßen, damit die Abenteuer auch interessant werden.

 

Ihre Bücher umfassen kaum mehr als 120 Seiten – was reizt Sie an der kurzen Form?

Als ich mit dem Schreiben begann, war ich von Lyrikern umgeben – ich las fast nur Gedichte. Auf diese Weise habe ich schmale, elegante Bücher schätzen gelernt, die ich mit Sprachspiel und Phantasie in Verbindung brachte. Dicke Bücher dagegen schienen mir viel Arbeit zu bedeuten, viel verschwendete Lebenszeit. Da ich kein Lyriker bin, blieben mir nur die Romane, und meine ähneln jetzt eben Lyrikbänden.

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Doch eines Tages würde sein Traum Wirklichkeit werden, dachte er, als er den Blick zum Himmel hob, in dessen weiter Ferne sich die Himmelreiche widerspiegelten, die auf ihn warteten. Träumen kostet nichts, sagte er sich.

Aus der Novelle Der kleine buddhistische Mönch. Erschienen in Drei Novellen von César Aira in der Reihe Büchergilde Weltempfänger.

Die drei Bücher in unserer Ausgabe, vor allem Was habe ich gelacht, sind voll von Theorien, die auf den ersten Blick absurd oder phantastisch erscheinen. Entwickeln Sie gern Theorien?

Wie wohl fast alle eher schüchternen, in sich gekehrten Menschen denke auch ich liebend gern nach. In mir drin köcheln ständig irgendwelche Theorien. Wenn ich sie als meine verkaufte, würde man mich für verrückt erklären oder für einen Dummkopf halten. Also lege ich sie meinen Protagonisten in den Mund oder Kopf, und so werden sie Teil der Fiktion. Ich habe mich schon manches Mal gefragt, ob ich nicht nur deswegen Romane schreibe, damit meine Figuren die Verantwortung für meine Theorien übernehmen ...

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Sie waren viele Jahre selbst in Argentinien ein gut gehütetes Geheimnis. Mittlerweile werden Ihre Bücher in zahlreiche Sprachen übersetzt. Warum glauben Sie stoßen Ihre Romane nun auch bei einem internationalen Publikum auf solche Begeisterung?

Das kann ich ganz schlecht beantworten. Vielleicht (aber das mag wieder nur eine meiner Theorien sein) rührt es daher, dass die Literatur sich gerade wieder mehr dem Realismus des 19. Jahrhunderts zuwendet, weswegen Bücher wie meine, die avantgardistische Tendenzen des 20. Jahrhunderts aufnehmen, mehr in den Blick rücken.

 

Unter den Leser:innen unserer Ausgabe finden sich wahrscheinlich einige, die Ihre Bücher gerade erst entdecken. Möchten Sie ihnen irgendeinen Hinweis geben?

Das führt mich wieder zur ersten Frage: Wegen meiner Zweifel und Unsicherheiten habe ich es nie für selbstverständlich gehalten, dass Menschen mir ein paar Stunden folgen würden – eben so lange, wie die Leküre eines meiner kurzen Bücher in etwa dauert. Ich bin sehr dankbar, wenn jemand eins meiner Bücher aufschlägt, und ich will ihr oder ihm nicht zu viel Zeit stehlen. Außerdem haben alle Bücher die freundliche Eigenschaft, dass man sie jederzeit schließen kann. Das Lesen, wenigstens das Lesen von Literatur, sollte nie eine Pflichtveranstaltung sein.

 

Fragen und Übersetzung von Corinna Santa Cruz


Der Autor

César Aira

César Aira, geboren 1949 in Coronel Pringles, veröffentlichte bisher über 80 Bücher: Romane, Novellen, Geschichten und Essays. Darüber hinaus übersetzt er aus dem Englischen, Französischen und Portugiesischen und lehrt an den Hochschulen von Rosario und Buenos Aires, wo er heute lebt. 2016 erhielt er den Premio Iberoamericano de Narrativa Manuel Rojas.


Die Übersetzer

Klaus Laabs, geboren 1953, ist freiberuflicher Übersetzer hispanoamerikanischer, französischer und frankophoner Literatur. Zeitweise lehrt er am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland. Für den ersten Band der Reihe Büchergilde Weltempfänger übersetzte er die Novellen Der kleine buddhistische Mönch und Wie ich Nonne wurde.

Christian Hansen, geboren 1962, übersetzt aus dem Spanischen, u. a. Roberto Bolaño, Julio Cortázar, Alan Pauls und Sergio Pitol. Im vorliegenden Band übersetzte er die Novelle Wie habe ich gelacht.


Der Büchergilde Weltempfänger

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Bereits erschienen

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Damon Galgut


Das Versprechen

Literatur aus Südafrika „Das Versprechen“ erzählt vom zunehmenden Zerfall einer weißen südafrikanischen Familie, die auf einer Farm außerhalb Pretorias lebt. Die Swarts versammeln sich zur Beerdigung ihrer Mutter Rachel, die mit vierzig an Krebs stirbt. Die jüngere Generation, Anton und Amor, verabscheuen alles, wofür die Familie steht – nicht zuletzt das gescheiterte Versprechen an die schwarze Frau, die ihr ganzes Leben für sie gearbeitet hat. Nach jahrelangem Dienst wurde Salome ein eigenes Haus, eigenes Land versprochen ... doch irgendwie bleibt dieses Versprechen mit jedem Jahrzehnt, das vergeht, unerfüllt. Mit großer erzählerischer Kraft und nah an den Personen schildert Damon Galgut eine Familiengeschichte, die sich über dreißig Jahre des politischen Umbruchs in Südafrika erstreckt – von der Apartheid bis hin zur Demokratie. Während sich das Land von den alten tiefen Spaltungen zu einer neuen, gerechteren Gesellschaft hin bewegt, schwebt über allem die Frage: Wie viel Verbitterung, wie viel Erneuerung, wie viel Hoffnung bleiben? Für Sie ausgewählt für den Büchergilde-Weltempfänger! Liebe Leserin, lieber Leser, mit ‚Das Versprechen‘ von Damon Galgut haben wir nach ‚Aufbrechen‘ von Tsitsi Dangarembga den zweiten Roman eines/r afrikanischen Autors/Autorin für die Reihe Büchergilde Weltempfänger ausgewählt. Und das aus voller Überzeugung! In Südafrika ging es nach dem Ende der Apartheid darum, eine gerechtere Gesellschaft aufzubauen. Doch wie die weiße Farmersfamilie Swart mit dem Verlust ihrer Privilegien umging, das schildert Galgut mit großer sprachlicher Wucht und oft gnadenlos gegenüber seinen Figuren. Gesellschaftliche Umbrüche erfordern Mut und offenbaren schonungslos menschliche Schwächen. Ein großartiger Roman, der uns viel über Südafrika erzählt – und auch über uns selbst. Corinna Santa Cruz Lektorin und Kuratorin der Reihe Büchergilde Weltempfänger (in Kooperation mit Litprom e.V.)

Preis

24,00 €

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