Abenteuer Marokko – ein prägendes Erlebnis


Als Mitteleuropäer in den 1980er-Jahren in Marokko öffentlich zu zeichnen bedeutete, die Neugier der Menschen auf sich zu ziehen. Der renommierte Grafiker und Maler Wolfgang Werkmeister zeichnete raue Bauerngesichter, anmutige Frauen, Händler, blinde Bettler, Kinder und Jugendliche. Träumerische Bilder, die perfekt mit Elias Canettis Reisetext Die Stimmen von Marrakesch harmonieren und nun in überarbeiteter Neuauflage erscheinen.

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Herr Werkmeister, wie kamen Sie dazu, nach Marokko zu fahren, um dort zu zeichnen? Welche Verbindung bestand zu dem Buch von Elias Canetti?

Der reine Zufall brachte mich auf diese Idee: Zwei Freundinnen fuhren damals alleine nach Marokko, was für die 1980er-Jahre für Frauen ziemlich ungewöhnlich war. Wieder in Hamburg, schwärmten sie von dieser Reise und schenkten mir das Buch Die Stimmen von Marrakesch von Canetti. Damit war meine Neugierde geweckt. Ich bin schon immer lieber in den Süden als in den Norden gereist und fuhr also mit meinem umgebauten VW-Bus los und kam schließlich mit der Fähre von Algeciras nach Tanger.

Welche Städte in Marokko haben Sie besucht?

In Tanger bin ich angekommen, in dieser berühmten und historisch bewegten Stadt. Von dort bin ich weiter an die Küste in Richtung Asilah gefahren. Da ich mit dem VW-Bus unterwegs war, waren die Übernachtungsmöglichkeiten im Freien aufgrund nächtlicher Überfälle eingeschränkt. Das wurde mir dann zu gefährlich, und ich entschied mich, die Reise zu beenden. Auf dem Rückweg zur Fähre in Tanger dann stand ein alter Mann in seiner Djellaba am Straßenrand. Ich nahm ihn mit. Warum, kann ich heute nicht mehr sagen. Er zeigte mir auf der Karte, wohin er wollte – nach Essouira, was für ein Anblick! Diese wunderschöne weiße Stadt, erbaut am Felsen, hat mich so inspiriert, dass ich dort eine Woche verbrachte und anfing zu zeichnen. Mit anderen Worten: Ein kleiner Umweg von vielleicht 30 Kilometern brachte mich auf den künstlerischen Hauptweg!

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Diese Reise war Ihre erste in das Land, aber nicht Ihre einzige, richtig?

Genau. Dieser erste Aufenthalt war sozusagen die Erweckung. Das Licht und die Farbenpracht haben mich zum Maler gemacht. Vorher waren meine Leidenschaft die Radierungen. Meine zweite Reise führte mich nach Marrakesch. Dort blieb ich sechs Wochen und fuhr viel mit dem Fahrrad umher. Die Atmosphäre erinnerte mich tatsächlich an 1001 Nacht. Das Licht in seinen unzähligen Facetten hat mich beim Malen herausgefordert. Durch die Bauweise der Stadt, diese kubischen Elemente, entstanden Winkel und daraus inspirierende Schatten. Das hat mich sehr begeistert. Zurück in Hamburg, habe ich dann innerhalb von zwei Jahren 80 Bilder nach meinen Zeichnungsvorlagen in Gouache-Technik angefertigt.

Der Schönheitsbegriff ist für mich das Ventil, aus dem sinnlosen Dasein wenigstens ein Extrakt ziehen zu können.

Was genau haben Sie in Marrakesch erlebt, wenn Sie öffentlich zeichneten?

Ich war stets umringt von einer wachsenden Menschenmenge, meist Jugendliche, die aufmerksam jeden Strich verfolgten. Durch sie bekamen die von mir herausgesuchten Personen meine Absicht, sie zu zeichnen, verfrüht mit, verhüllten ihre Gesichter oder veränderten die Position oder verlangten sogar Geld. Dabei boten Vis-à-vis-Begegnungen gestisch und physiognomisch einmalige Erlebnisse und Erfahrungen. Am besten gelang mir Zeichnen im Schutze der Dunkelheit, in der Nähe einer Gasfunzel, aber auch dort blieb ich nie unbemerkt.

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Mitte der 1980er-Jahre haben Sie, vermittelt durch den damaligen Geschäftsführer der Büchergilde, Edgar Päßler, die Reiseerzählungen von Elias Canetti bereits einmal illustriert. Wie kam es dazu?

Bei einem Besuch sah Herr Päßler meine Marrakesch-Bilder. Er war fasziniert und schlug vor, mit diesen Bildern Die Stimmen von Marrakesch zu illustrieren. Gesagt, getan. Elias Canetti wurde gefragt und fand die Idee gut, allein mit der Bemerkung, dass die Bilder rein der Illustration dienen sollten, nicht der Interpretation. Die Leserinnen und Leser sind also mit meinen Bildern durch das ursprüngliche Marrakesch gegangen.

Wie ist es für Sie, nach 1985 nun erneut das Buch von Elias Canetti zu illustrieren, diesmal jedoch mit anderen Bildern aus jener Zeit?

Ein schönes Altersgeschenk.

Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Werkmeister.

 

Die Fragen stellte Stephanie Krawehl.


Der Autor

Elias Canetti (1905–1994), geboren in Ruse/Bulgarien, wuchs in Manchester, Zürich, Frankfurt und Wien auf. 1929 promovierte er in Wien und emigrierte 1938 nach London. Ab den 1970er-Jahren lebte er vorwiegend in der Schweiz und erlangte weitreichende Berühmtheit mit seinen Theaterstücken, den Aufzeichnungen und den autobiografischen Büchern. 1981 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Er starb in Zürich.


Der Illustrator

Wolfgang Werkmeister, geboren 1941 in Berlin, studierte freie Grafik und Illustration an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart bei Gunter Böhmer. Er entwickelte seine Radiertechnik in Hamburg weiter und arbeitete als Pressezeichner, Illustrator sowie als freier Künstler. Er lebte längere Zeit in Norwegen, Marokko und Papua-Neuguinea und heute in Hamburg.


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