Preis
23,00 €
Was wäre, wenn wir unsere Zukunft vorher anprobieren dürften? Oder in der Vergangenheit andere Entscheidungen getroffen hätten? In seinem Buch Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne zeigt sich Saša Stanišić in Bestform: warmherzig, lebensklug – und sehr, sehr lustig.
Lieber Saša Stanišić, in Ihrem Buch tritt unter anderem der 16-jährige Saša Stanišić als Figur auf. War die Literatur für den realen Saša damals eine Form des Austestens möglicher Zukünfte?
Viele Bücher, die ich damals las, waren eher in die Vergangenheit gewandt oder erzählten von vergangenen Zeiten. Damit zeigte mir die Literatur nicht wirklich Spielarten eines Lebens in der Zukunft auf. Sie war am ehesten noch ein eskapistisches Vehikel aus der prekären Gegenwart: sich selbst und die widrigen Umstände des Lebens als Geflüchteter in Deutschland ein Buch lang zu verdrängen.
Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, wie ein Leben verlaufen kann! Und dass jemand, auch so jemand wie wir, niemals gute zehn Minuten erleben wird, das kann einfach nicht sein.
Sie setzen sich in den Erzählungen mit Themen wie Einsamkeit, Migration oder Rassismus auseinander. Dabei schwingen aber stets auch Leichtigkeit und Optimismus mit. Warum war Ihnen das wichtig?
Als Autor hoffe ich natürlich auf eine Reaktion der Lesenden auf meine Texte, die sich aus der jeweiligen Lektüre heraus auf die „echte“ Welt bezieht und überträgt und bestenfalls zum Handeln im Sinne eines besseren Miteinanders in diesen immer nicht besten Zeiten animiert. Und Leichtigkeit im Erzählten ist für mich das beste Mittel der Animation. Statt vordergründiger Appelle: humorvolle Geschichten, denen (hoffentlich) ernst zu nehmende Gesellschaftskritiken zugrunde liegen.
Im Buch dreht sich alles um Lebensentwürfe und -chancen, dass die Vergangenheit nicht unsere Zukunft bestimmen darf: Trifft das in etwa den Kern?
Ich würde da gerne ein Wörtchen ergänzen: Es darf nicht nur die Vergangenheit sein. Und das ist ja oft selbstredend der Fall. Wir alle tragen unsere Kämpfe aus in der Gegenwart, sind dort überfordert und verzweifelt und traurig und einsam (und vieles Positive natürlich auch). Die Frage, die ich mir stelle, lautet also eher: Können wir das Jetzt so beeinflussen, dass wir im Morgen besser leben? Gegeneinander gelingt dieses „besser Leben“ wesentlich schlechter als miteinander – davon erzählen meine Geschichten. Das ist keine große Erkenntnis. Aber dennoch scheint es mir unerlässlich, das immer wieder anzusprechen, während wir in den Selbstoptimierungszeiten des absoluten Turboindividualismus leben, die am ehesten aus jenen Menschen Gewinner machen, die ohnehin die besten Startvoraussetzungen hatten.
Die fantastischen Elemente im Buch erinnern an das Verspielte Ihrer Kinderbücher. Hat das Schreiben für Kinder Ihr Schreiben für Erwachsene verändert?
Das Fantastische und das Unwahrscheinliche haben schon immer zu meinem Erzählinventar gehört. In Vor dem Fest kommen rappende Geister vor, in Herkunft Drachen. Was seit den Kinderbüchern mehr geworden ist, ist aber insgesamt die surreal-komische Verwandlung der erzählten Welt in teils hanebüchene Einfälle. Und das kommt vielleicht wirklich aus der „Übung“ mit der Kinderliteratur. Ich stelle aber fest: Erwachsene lieben hanebüchene Einfälle genauso sehr wie Kinder.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stanišić!
Die Fragen stellte Frank Rudkoffsky.
Preis
23,00 €
Saša Stanišić, geboren 1978 in Višegrad (Jugoslawien), lebt seit 1992 in Deutschland. Seine Werke wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt und viele Male ausgezeichnet, u. a. erhielt Herkunft den Deutschen Buchpreis 2019. Stanišić lebt und arbeitet in Hamburg. Er ist dort Fußballtrainer einer F-Jugend.