Gottes Werk und Teufels Beitrag
Für die einen ist Alkohol ein Genuss-, für die anderen eher ein Rauschmittel. Worüber aber die wenigsten nachdenken: was für wahnsinnig spannende Geschichten hinter den verschiedenen Spirituosen stecken. Zum Glück behebt das unterhaltsame wie informative Buch Die Schule der Trunkenheit diese Lücke. Da drückt man doch gerne noch mal die Schulbank!
Wussten Sie, warum Weinbrand in Nachkriegsdeutschland die populärste Spirituose war? Dass der Rumhersteller Bacardi versuchte, Fidel Castro zu stürzen? Wo sich die größte Bodega Europas befindet? Wie der Wodka seinen Siegeszug antrat? Dass es ausgerechnet die klassische American Bar war, die zu mehr Geschlechtergleichheit (nun, zumindest ein bisschen) im Nachtleben führte? Wie viele Hektar das Anbaugebiet Champagne umfasst? Wieso es im 18. Jahrhundert zu sogenannten Gin Riots in London kam? Unter welchen kuriosen Umständen Jack Daniel starb? Wie viel Geld US-Amerikaner:innen Schätzungen zufolge während der Prohibition für Alkohol ausgaben? Und dass der »Wurm« im Agavenschnaps Mezcal in Wirklichkeit eine Raupe ist?
Betrunken sein kann jeder. Aber trunken? Sind nur die Kenner.
Nein? Dann heißt es zurück in die Schule, und zwar in eine ganz besondere Schule: Die Schule der Trunkenheit. So lautet der Titel des Buchs von Kerstin Ehmer und Beate Hindermann, Mitinhaberinnen der legendären Victoria Bar in Berlin-Mitte. In dieser Bar, die sie 2001 eröffneten, hielten sie regelmäßig Veranstaltungen zu verschiedenen Spirituosen, auf denen jetzt dieses Buch basiert. Sieben »Semester« (Weinbrand, Wodka, Whisky, Rum, Gin, Tequila und Champagner) und zwei kurze »Vorlesungen« umfasst es und hat vor allem ein Ziel: Wissensvermittlung. »[Wir] haben dann rausgefunden, dass Alkohol tatsächlich eigentlich mit zu den Kulturgütern gehören sollte«, erläuterte Ehmer in einem Interview mit DLF Kultur ihre Intention.
Wissensvermittlung bedeutet übrigens nicht, und das ist wirklich wichtig, die Glorifizierung von Alkohol. Es geht den beiden Autorinnen und Barkeeperinnen viel mehr darum, zu zeigen, welche kulturgeschichtliche Wandlung die Rezeption von Alkohol durchgemacht hat, wie sehr er die Weltgeschichte geprägt hat und wie stark verzahnt er mit Kriegen, Revolutionen, mit Wirtschaft, Aufschwung und Niedergang ist, kurz: wie sich an Alkoholproduktion, -verkauf und -vorliebe auch die Geschichte der Menschheit ablesen lässt.
In kurzen wie kurzweiligen Kapiteln sammeln Kerstin Ehmer und Beate Hindermann in ihrer Schule der Trunkenheit wahnwitzige und überraschende Storys, erzählen von Humphrey Bogart, Willy Brandt oder dem Bürgermeister New York Citys zu Zeiten der Prohibition (ja, es ist ein recht männerdominiertes Buch), erläutern gleichzeitig politische und wirtschaftliche Geschichte in ihrer Verknüpfung mit Alkohol und sorgen damit für fantastische Gesprächsthemen bei Ihrem nächsten Barbesuch. Abgerundet wird dieses fakten- und anekdotengesättigte Buch übrigens mit zahlreichen Lieblings-Cocktailrezepten aus der Victoria Bar. Na dann, wohl bekomm’s!
Isabella Caldart macht allerhand Jux und Tollerei mit dem geschriebenen Wort, zum Beispiel auf novellieren.com.
Die Autorinnen
Kerstin Ehmer, geboren in Hamm, studierte Theater- und Filmwissenschaften, Amerikanistik und Philosophie in Berlin und machte eine Ausbildung zur Fotografin am Lette-Verein, Berlin. Sie war als Journalistin und Lifestyle-Fotografin tätig. Seit 2001 betreibt sie mit ihrem Mann und Beate Hindermann die legendäre Victoria Bar in Berlin.
Beate Hindermann, geboren in Köln, studierte Journalistik und Geschichte in Berlin. 2001 eröffnete sie gemeinsam mit Stefan Weber und Kerstin Ehmer die Victoria Bar. Sie publiziert im Mixology Barmagazin und fungiert als Jurorin diverser Bar- und Keeper-Competitions.
Die Illustratorin
Ellen Wagner, geboren 1978 in Soltau, studierte Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Illustration an der Hochschule für Gestaltung Offenbach. Sie ist als Layouterin und Illustratorin freiberuflich tätig. Seit 2022 ist Ellen Wagner zusammen mit Axel Rössler Lehrkraft für besondere Aufgaben an der HfG Offenbach im Bereich Siebdruck.