Die Maschinen und wir


Christian Gralingen illustriert E.T.A. Hoffmann

 

Im Jubiläumsjahr – rund um seinen 200. Todestag am 25. Juni 2022 – widmet die Büchergilde Gutenberg dem Autor, Musiker und Künstler E.T.A. Hoffmann ein exklusiv illustriertes Buch: Kreisleriana / Die Automate / Der Magnetiseur. Drei Erzählungen bringt Hoffmanns Texte und Zeichnungen mit den opulenten Werken des Illustrators Christian Gralingen zusammen.

Im Werkstattgespräch berichtet Christian Gralingen von seinem Zugang zu Hoffmann und der Verbindung von Mensch und Technik.

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Lieber Christian Gralingen, welche Berührungspunkte hatten Sie bereits in der Vergangenheit mit E.T.A. Hoffmann und seinen Werken?

Das erste Mal begegnete ich dem Werk von E.T.A. Hoffmann, wie viele von uns, während meiner Schulzeit und dem Studium. So geschehen während eines Philosophie-Seminars zum Thema „Was ist Geist?“. Neben klassischen philosophischen Texten und (damals) zeitgenössischen Texten über Künstliche Intelligenz (KI), lasen wir dort auch Klassiker wie Mary Shelleys Frankenstein und eben E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann.

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Auch der sprechende „Schachtürke“ aus Die Automate war wichtiger Bestandteil der Analysen. Eigentlich benötigte ich den Schein für dieses Seminar damals nur aus administrativen Gründen – ich konnte nicht ahnen können, dass mich die Thematik dann so begeistern und mich bis zu meiner Abschlussarbeit begleiten würde. Diese widmete ich dem Thema Maschine und Künstliche Intelligenz und illustrierte ein ironisches Buch über die Genesis der Maschine.

 

E.T.A. Hoffmann hinterließ als Mehrfachkünstler eine Fülle an Texten, Zeichnungen und Bildern sowie Musikstücken. Neben diesen umfangreichen Materialen von Hoffmann selbst, was gab Ihnen zusätzliche Impulse für Ihre Arbeit an diesem Projekt?

Der Auftrag zu diesem Buch bestand darin, ein Konzept mit nur einigen wenigen Illustrationen zu entwerfen. Es war dann sehr schnell klar, dass die Motive ein verbindendes Element zwischen den einzelnen Erzählungen bilden sollen. Man könnte sie auch als kleine Übergangsstücke betrachten, die zwischen den Kapiteln stehen – wir sprechen daher im Buch auch von „illustrierten Intermezzi“. Wichtig ist, dass die Illustrationen eine Funktion erfüllen und den Leser visuell in den nächsten Text begleiten. Um E.T.A. Hoffmanns virtuosem Schaffen gerecht zu werden, wählten wir einen ganzheitlichen Ansatz, in dem Text, Bild und, inkorporiert in die Illustrationen, auch Musik gestalterisch nebeneinanderstehen.

Als Fließtextschrift wählte ich die „Swift“, eine sehr gut proportionierte und lesbare Schrift mit markanten Serifen. Titel und Headlines werden aus der „Gosha Sans“ gesetzt, einer grafischen Groteskschrift, die bei einigen Buchstaben extrem rechtwinklig und kantig, geradezu brutalistisch wirkt. Dieser Kontrast unterstreicht das moderne, eindeutige und wissenschaftliche Element an Hoffmanns Texten und andererseits visualisiert es das Unerklärliche, Unfassbare und Drohende.

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Wie kompatibel sind für Sie E.T.A. Hoffmanns Visionen des 19. Jahrhunderts mit der Jetztzeit?

Ich denke, man kann Hoffmanns Erzählungen ganz einfach lesen und sich an den Charakteren erfreuen, sich gruseln oder sich den fantastischen Wendungen der Erzählungen ergeben.
Je mehr ich mich jedoch wieder mit der Kunst Hoffmanns und den vorliegenden Texten beschäftige, desto mehr Verbindungen zu aktuellen technischen Entwicklungen werden sichtbar. Während ich diesen Text schreibe, parallel im Netz recherchiere und nebenbei Musik streame, fällt mir auf, dass sich aus diesen alltäglichen Handlungen ebenfalls unheimliche, fantastische Erzählungen spinnen ließen. Denn was tue ich hier wirklich, und wie funktioniert das alles? Ganz genau erklären kann ich das nicht. Alltägliche Dinge sind so einfach, aber auch so komplex geworden. Wie intelligent oder dumm ist die Maschine, mit der ich arbeite, und was wird künftig durch KI möglich sein (Automatisierung, Jobverlust)? Was passiert im Hintergrund mit meinen Daten (Tracking, Profil-Erstellung)? Wie manipulierbar bin ich beziehungsweise sind wir als Gesellschaft (Echokammern, Hate Speech, Querdenker)? Wie wahr oder unwahr, selektiert oder umfassend sind die Informationen die ich erhalte (Fake News, Social Bubbles)?

Autoren und Geschichtenerzählerinnen wird der Stoff in Zukunft nicht ausgehen. Vielleicht leben wir ja schon in einer modernen Hoffmann-Erzählung. Darin dudelt Beethovens 5. Symphonie pausenlos via „Spotify“ in unseren Kopfhörern, während wir mit einer KI oder einer Türkin in Ankara (wir wissen es nicht) online Schachspielen und darauf warten, dass die Magnetiseure Bezos und Co. uns bald die allerneuesten Produkte von Drohnen liefern lassen. Und da klingelt es auch schon, „Gorillas“ stehen vor meiner Tür!

 

Innerhalb dieses Buchprojekts stellen Sie Ihren eigenen Illustrationen Originalzeichnungen von E.T.A. Hoffmann direkt gegenüber. In welchem Maße waren Hoffmanns Zeichnungen Inspirationsquellen für Ihre eigene künstlerische Arbeit?

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E.T.A. Hoffmann als Illustrator und auch seine Zeichnungen lernte ich erst mit diesem Projekt kennen. Seine Arbeit hatte für mich immer primär eine textliche Dimension mit ihm als sehr bekanntem Autor und klassischem Literaten. So habe ich auch stets meine Inspiration eher in seinen Texten gefunden, denn die Lektüre lässt ganz eigene Bilder im Kopf entstehen. Im Allgemeinen favorisiere ich Texte deshalb als Inspirationsquellen – bei Zeichnungen, Fotos, Filmen gibt es eben immer schon eine Bildsprache.

Ich empfinde es als großen Reichtum, mit der Literatur zu erfahren, welchen musischen und künstlerischen Kosmos E.T.A. Hoffmann bespielt und entwickelt hat. Das war für mich ein großer Fund bei diesem Projekt. Und es war auch die Büchergilde, die mich erst auf die Idee der Gegenüberstellung von Hoffmanns Zeichnungen mit meinen eigenen gebracht hat, weil es gewisse Motivparallelen gab. Das daraus entstandene Spannungsfeld gefällt mir sehr. Denn Illustrationen sind nie nur Beiwerk zu einem Text; sie eröffnen neue Ebenen, erweitern die Geschichte und erzählen eine eigene. Ziel dieses Projekts ist, mit den Illustrationen neue Türen aufzumachen, andere und neue Gefühle zu erwecken, E.T.A. Hoffmann damit erfahrbar zu machen.

Autoren und Geschichtenerzählerinnen wird der Stoff in Zukunft nicht ausgehen. Vielleicht leben wir ja schon in einer modernen Hoffmann-Erzählung.

Christian Gralingen, Illustrator

E.T.A. Hoffmann fiktionalisiert die Fortschritte und Entwicklungen seiner Zeit, er dichtet und schmückt sie aus. Ihre Zeichnungen sind ebenfalls von Wissenschaft und Technik inspiriert, dabei gleichzeitig märchenhaft-ornamental. Wieso lässt sich Kunst mit vermeintlich neutraler, von Ratio geleiteter Wissenschaft so gut verbinden?

Beides – Kunst und Wissenschaft – entspringt unseren Köpfen. Wir tragen diese fundamentalen Dinge in uns und suchen sowohl in der Kunst als auch in der Wissenschaft immer wieder andere, neue Ausdrucksformen und Entwicklungen.
Ich komme aus einer Familie aus Technikern und Ingenieuren: Meine Mutter ist technische Zeichnerin, mein Vater Vermessungsingenieur und mein Bruder Industrieelektroniker. Vom Gefühl her stand ich da immer ein bisschen außen vor und habe einen anderen Weg gesucht. Vor allem das Arbeitsmaterial meines Vaters, seine Lehrbücher, waren meine Inspirationsquellen, aus denen ich meine Kunst sozusagen „zusammengebaut“ habe. Für mich ist die Wissenschaft mit der Kunst also immer schon, im wahrsten Sinne des Wortes, verwandt gewesen.

Und mich faszinieren die unglaublichen Fortschritte und Entwicklungen der Technik – allein mein Smartphone versetzt mich immer wieder in Staunen. In der Kombination von Wissenschaft und Kunst sehe ich sehr große Chancen, das geht unglaublich gut zusammen: Denn wissenschaftliche Themen lassen sich ganz anders, poetisch-künstlerisch beleuchten, wenn man sie illustriert.

 

Sie arbeiten mit digitalen Methoden, Ihre Illustrationen entstehen sozusagen vor allem mithilfe einer Maschine. Wie ordnen Sie diese Methode im Sinne des Körper-Enhancements und im Gegensatz zu analogen Techniken ein?

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Meine Illustrationsarbeiten entstehen oft mit Mixed-Media-Techniken: Farben entwickle ich beispielsweise zunächst oft von Hand auf Papier und übertrage sie dann ins Digitale. Ich schätze die Maschine, den Computer, als meine Verlängerung sehr: Einzelne Arbeitsschritte kann ich einfach rückgängig machen, oder ich kann später zu abgespeicherten Zwischenständen zurückkehren und damit weiterarbeiten, wenn ich mich einmal verrannt haben sollte. Übrigens: Ein Bleistift ist ja auch eine Verlängerung des Körpers, so gesehen unterscheiden sich das Analoge und das Digitale da gar nicht so viel.

Ich glaube, die Zukunft der Illustration wird sehr spannend, uns steht so viel offen: 3D-Zeichnungen, virtuelle Räume, digitale Originale in der Blockchain (Non-Fungible Token, NFT) – da gibt es ganz spannende Entwicklungen. Im Gegensatz dazu sehen wir aber auch – beispielsweise mit dem Wiederaufleben der Polaroid-Fotografie –, dass sich der Wunsch nach analogen Originalen, nach festgehaltenen, einmaligen Momenten etabliert.

In jedem Fall teile ich Hoffmanns Faszination für Maschinen und Automaten. Die vermeintliche Lebendigkeit der Maschine, die nie aufgelöst wird, begeistert mich. All das erinnert mich unweigerlich an den Turing-Test, an die Frage, ob Maschinen intelligent sind. Aus heutiger Sicht können wir E.T.A. Hoffmann hier eine Vorahnung unterstellen … Zweifellos ist er total modern. Auch ich frage mich beim Arbeiten häufig, wer eigentlich die Prozesse bestimmt: Ich? Oder die Maschine?

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Was ist Ihre Vision für die Zukunft?

Für mich sind der Klimawandel, die brennenden sozialen, gesellschaftlichen Fragen und technologische Innovationen ganz zukunftsweisende Themen. Als Vater bekomme ich auch die Sicht der Kinder mit und bin überzeugt, dass wir vorankommen müssen, ein internationaler Fahrplan ist nötig.

Überhaupt sollte die Gestaltung unserer Zukunft ein von Grund auf positives Projekt sein. An dieser Stelle müssen wir das Narrativ umkehren: Es geht doch um eine neue Zukunft, die wir gemeinsam finden und ermöglichen. Literatur, Kunst und Wissenschaft werden dann weiterhin Wege öffnen, visionär sein – ähnlich vorausdenkend agieren wie E.T.A. Hoffmann seinerzeit.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Christian Gralingen!

 

Die Fragen stellten Marlen Heislitz und Marie-Theres Stickel.


Der Autor

E.T.A. Hoffmann

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776–1822), geboren in Königsberg, war Jurist, Kapellmeister, Komponist, Musikkritiker, Zeichner, Karikaturist und Schriftsteller der Romantik. In Anlehnung an den von ihm bewunderten W. A. Mozart änderte er seinen dritten Vornamen Wilhelm zu Amadeus. Nach Vollendung seiner Oper Undine im Jahre 1814 widmete sich Hoffmann ganz der Literatur. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Die Elixiere des TeufelsDie Serapionsbrüder und Lebensansichten des Katers Murr.


Der Illustrator

Christian Gralingen

Christian Gralingen, geboren in Essen, studierte Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität der Künste. Die Ästhetik seiner Illustrationen ist inspiriert durch die Bild- und Formensprache wissenschaftlicher Bücher, von Bauplänen und technischen Zeichnungen. Gralingen arbeitet u. a. für den New YorkerWired, das Lufthansa Magazin und die Bundeszentrale für politische Bildung. Er lebt in Berlin und lehrt Illustration und Kommunikationsdesign am Lette Verein Berlin.


Unheimlich Fantastisch – E.T.A. Hoffmann 2022

Unheimlich Fantastisch: E.T.A. Hoffmann

Anlässlich des 200. Todestags von E.T.A. Hoffmann hat die Staatsbibliothek zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz das Projekt „Unheimlich Fantastisch“ ins Leben gerufen.

Mit zahlreichen Veranstaltungen und einer innovativen Ausstellung in der Staatsbibliothek Bamberg, im Museum der Staatsbibliothek zu Berlin und im Deutschen Romantik-Museum in Frankfurt am Main sollen das Leben und Werk von E.T.A. Hoffmann in die Gegenwart geholt werden.

Mehr über „Unheimlich Fantastisch“ erfahren


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