Parkplatz-Rhapsodien


Klaus Johannes Thies lässt seinen Erzähler in Aus meinem Fenster einen Parkplatz beobachten – tagein, tagaus. In seinen Prosaminiaturen, den Parkplatz-Rhapsodien, philosophiert er über fahrende und parkende Autos, werbende Werbetafeln, grüne Ampeln und Menschen in allen Lebenslagen.

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Der Parkplatz als grauer, aber ungemein tiefsinniger Protagonist des Buches, erweist sich als erstaunlich großer Raum, in dem sich unterhaltsame Gedankenspiele zum urbanen Leben und der menschlichen Existenz anstellen lassen.

Im Interview mit der Büchergilde spricht Autor Klaus Johannes Thies über den „Un-Ort“ Parkplatz und das Sammeln von Momenten.

Vielleicht kann man „Alltag“ als einen gemeinsamen Nenner menschlichen Lebens beschreiben. Herr Thies, Sie als „Sammler von Momenten“, gerade den alltäglichen, wie findet man das Besondere im Banalen?

Man muss nur gucken, die kleinen Augen leisten Großartiges. Das Gucken kann man ja auch trainieren, gehört zur „Grundausrüstung“ eines Schriftstellers. Und wenn sich draußen nichts tut, auf dem Parkplatz oder wo auch immer, kann man ja auch mal nach innen schauen, oder das eine mit dem anderen verbinden. Innen befinden sich ja die Erinnerungen, wenn man so will, die älteren Sammlungen von Momenten, sogar schon vorsortiert, wenn auch nicht alphabetisch. Ich bin von Haus aus sehr unordentlich.

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In Aus meinem Fenster beobachten Sie einen klassischen „Un-Ort“, einen Parkplatz vor Ihrer damaligen Wohnung. Man meint, es gäbe kaum Tristeres – und könnte damit nach der Lektüre Ihrer Rhapsodien kaum falscher liegen. Welche Bedeutung hat die Verbindung von Mensch und Ort?

Blick aus einem Fenster des Verlags (Büchergilde, Frankfurt)
Blick aus einem Fenster des Verlags (Büchergilde, Frankfurt)
Wenn etwas wirklich trist ist, lässt sich das nicht mehr steigern. Kann es eigentlich nur wieder besser werden. Ich habe 24 Jahre auf den Parkplatz geschaut, und meine Vorgängerin tat es auch, wie mir meine Nachbarin erzählte, die auch sehr gern rausgeguckt hat. So hatten wir einen richtigen Austausch, konnten unsere „Bilder“ miteinander vergleichen. In meinem Buch tritt sie ebenfalls auf. Sie ist jetzt 98, hat also schon viel länger als ich auf diesen angeblichen „Un-Ort“ gesehen. Inzwischen vermisse ich ihn schon. Am liebsten würde ich noch ein paar Kapitel dem Buch hinzufügen.
 

Gibt es etwas Schöneres als einen Fensterplatz? Keiner behindert dich, und Du hast alles vor Dir. Alles noch vor Dir, wie einen Spielfilm, der nie zu Ende gehen wird.

Mit Smartphones lässt sich mittlerweile alles jederzeit aufnehmen. Wie schätzen Sie diesen schieren Überfluss an Momentaufnahmen ein?

Im Prinzip fotografieren ja alle dasselbe. In Venedig bin ich Zeuge gewesen. (Ich hatte ein dreimonatiges Stipendium und setzte mein Fensterbuch fort, indem ich die Wasserstraße beobachtet habe, den Canale Grande.) Vergleichsweise eine langweilige Angelegenheit, wenn ich den Kanal mit „meinem“ Parkplatz vergleiche. Immer die gleichen Boote, und alle fotografieren und gucken nicht mehr, kommen nicht dazu, weil sie ja pausenlos knipsen. Ich hab auch fotografiert. Aber ich glaube, irgendwie anders, „falsch“ sozusagen, weil, das „Banale“ ist ja an Venedig das Foto vom Markusplatz und vom Rialto. Und diese populären Sachen habe ich ausgelassen.

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Drehen wir den Spieß doch mal um: Angenommen, jemand würde Sie aus dem Fenster heraus beobachten, was würde die Person sehen?

Als Erstes würde ihm oder ihr, eher noch ihr, meine schlechte Körperhaltung auffallen, so ein bisschen nach vorn geduckt, was mir immer wieder vorgeworfen wird, zu Recht. Ist aber offenbar eine Sucht von mir. Selbst mit dem Fernrohr in den Händen würde er oder sie an meinem Gesicht wahrscheinlich kaum etwas ablesen können. Irgendwie langweilig, der Typ.

Immerzu wartet jemand, wartet auf dem Parkplatz in seinem Fahrzeug, ohne etwas zu bezahlen. Auch ohne Fahrzeug stehen die Menschen gern hier herum. Weil es so schön ist? Parken ihren Körper sozusagen – parken und warten, zwei Wörter, die sehr verwandt klingen, zu Recht.

Die Fragen stellte Marlen Heislitz.