Echte Handarbeit


Ein Hoch auf Christian Morgenstern: In Zusammenarbeit mit dem Verein für die Schwarze Kunst, dem Verein Meister der Einbandkunst und der Papiermühle Homburg entstand zum 111. Todestag des Lyrikers das Buch Mein Morgenstern. Von Hand geschöpft, individuell gesetzt, gedruckt und gebunden, präsentiert es in bibliophilem Gewand Morgensterns komisch-kreative Gedichte. Theresa Wedemeyer (Verein für die Schwarze Kunst/Meister der Einbandkunst) erklärt, wie das Buch in handwerklicher Kooperation entstand.

Liebe Theresa Wedemeyer, was genau ist Mein Morgenstern?

Aus der kleinen Idee, Christian Morgenstern zu seinem 111. Todestag mit einem besonderen Buch zu ehren, entstand etwas richtig Großes: Das Buch Mein Morgenstern verbindet Sprach- mit Buchkunst, es enthält Morgensterns wunderbar witzige Gedichte in kreativ gesetzter Form und zeigt die ganze Bandbreite handwerklicher Buchproduktion. Die Auflage von 111 Exemplaren erscheint in 22 unterschiedlichen Einband-Varianten, jeweils gestaltet von 22 verschiedenen Einbandkünstlerinnen und -künstlern.

 

Wie kam das Projekt zustande und wer war daran beteiligt?

Der Startschuss für das Projekt fiel bei einem der Alumni-Treffen des Vereins für die Schwarze Kunst. Ehemalige und aktuelle Stipendiat:innen vertiefen bei diesen Treffen das Wissen um die Druckkunst, vernetzen sich und entwerfen gemeinsam Projekte. So entstanden die Idee und schließlich das Buch durch eine überregionale Kooperation von circa 60 Handwerkerinnen und Handwerkern, es besteht aus 10.000 Handpressendrucken, sechs Werkstätten waren beteiligt.

Für das Papierschöpfen durften wir auf das Fachwissen des Papierschöpfers Johannes Follmer und seine Papiermühle in Homburg zurückgreifen. Mit den Meistern der Einbandkunst – Internationale Vereinigung e.V. (MDE) – war ein Partner an unserer Seite, der das Know-how mitbrachte, die gedruckten Bögen zu wunderschönen Büchern zu binden.

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Ehrenamtliche und Handwerker:innen beim gemeinsamen Arbeiten

Welche Stationen durchlief das Buch bis zum fertigen Produkt?

Vieles lief parallel, aber als Erstes brauchte es Papier, in diesem Fall 4.000 Bogen, die von Hand geschöpft wurden und dann Press- und Trockenphasen sowie die Qualitätskontrolle durchliefen. Mit den ausgewählten Texten entstand das Layout, und die Kolumnen wurden im Handsatz mit Bleibuchstaben gesetzt. Als die Kolumnen fertig waren, druckten wir diese auf einer Handabziehpresse, und zwar so, dass die fertigen Bogen gefalzt und zu je fünf Lagen à zwölf Seiten zusammengetragen werden konnten. Das sind die Rohbogen, fertig zum Binden. Die Lagen wurden vernäht, man spricht vom Heften, der Buchblock abgeleimt und am Kopf beschnitten. Abschließend vereinigten wir den Buchblock mit seinem Einband.

 

Wie lief die Produktion von Mein Morgenstern ab?

Fixpunkt war für alle Beteiligten der 111. Todestag von Christian Morgenstern, der 31. März 2025, an dem das fertige Buch vorliegen sollte – wir hatten also über ein Jahr Zeit, was uns am Ende doch ins Schwitzen brachte. 

Bei der Buchherstellung muss man vieles bedenken, es ist wie eine Großbaustelle. Es war viel ehrenamtliches Engagement nötig und vor allem eine gut organisierte Arbeitsteilung. Freiwillige übernahmen das Papierschöpfen, Stipendiaten unseres Vereins setzten Texte oder stellten Grafiken her. Für den Druck wurden das in Homburg hergestellte Papier und die dezentral produzierten Satzarbeiten an die nächsten vier Produktionsorte geschickt. Dort konnten dann unter Hochdruck Mitglieder beider Vereine alles zusammentragen und schickten es zur Finalisierung an die Buchbinder:innen des MDE.

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Eine Variante von zweiundzwanzig Einbänden

Welchen Herausforderungen begegneten Sie?

Was wir alle etwas unterschätzt haben, war die Herstellung des Papiers und wie viel Können und Erfahrung es braucht, eine gleichbleibende Grammatur zu erhalten. Diese dann sehr unterschiedlichen Stärken der Papierbogen haben für einige Herausforderungen gesorgt. Beim Drucken mussten die Unterschiede für ein gleichmäßiges Druckbild ausgeglichen werden, dafür benötigt es Geduld und Fingerspitzengefühl. Für das Binden war die Stärke des Papiers und der zweiseitige Büttenrand ein nicht ganz alltäglicher Umstand, dem man mit Fachwissen und Kreativität begegnen musste.

 

Welchen kreativen Spielraum hatten die Beteiligten?

Um bei so vielen AkteurInnen eine gewisse Einheitlichkeit zu gewähren sowie die Rüstzeiten beim Drucken möglichst gering zu halten, gab es einen vorgegebenen Satzspiegel und den Hinweis, dass nur in Schwarz gedruckt wird. Als verbindendes Element der verschiedenen Beiträge platzierten wir neben der Seitenzahl ein typografisches Schmuckzeichen und das Kürzel des jeweiligen Setzers oder der Grafikerin.

Das ergab den Rahmen, in dem man sich kreativ mit den schönen Gedichten von Christian Morgenstern austoben und auch technische Grenzen überschreiten durfte. So entstanden Bilder in druckgrafischen Techniken, wie Lithografie oder Tiefdruck oder auch im Scherenschnitt, die wir dann für den Hochdruck umgewandelt haben.

22 Buchbinderinnen und -binder gestalteten und fertigten nach eigenem Entwurf die Bucheinbände, d.h. es gibt 111 Exemplare in 22 Varianten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

 

Was möchten die Beteiligten mit Mein Morgenstern zum Ausdruck bringen?

Es war eine große Freude, so viele Buch-, Text- und Druckverrückte (und alle die es werden wollen) zusammenzubringen und im persönlichen Austausch etwas herzustellen.

Ich denke, mit unserem Morgenstern-Projekt haben wir gezeigt, wie viel kreatives, aber auch fachliches Potential in unserer „Nische“ der handwerklichen Kleinserie steckt. Denn neben dem Netzwerkaspekt ist darin auch der Erhalt des immateriellen Kulturerbes zentral, also das Wissen um Dinge und wie sie hergestellt werden können. Nicht nur in Büchern steckt Wissen, auch Menschen sind solche Speicher von lang erprobten Kulturtechniken. Das drückt sich bei uns allen in der Liebe zu diesen bahnbrechenden Erfindungen wie Schrift, Buchdruck und dem Medium Buch aus.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Theresa Wedemeyer.

 

Die Fragen stellte Marlen Heislitz.

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Vernissage zum Buchprojekt „Mein Morgenstern“

Stipendiat:innen des Vereins für die Schwarze Kunst haben gemeinsam mit der Papiermühle Homburg und dem MDE (Verein Meister der Einbandkunst) ein einzigartiges Buchprojekt auf die Beine gestellt: Von Hand geschöpft sowie individuell gesetzt, gedruckt und gebunden, sammeln sich Morgensterns komisch-kreative Gedichte für dieses Projekt in einzigartigen Bänden – 111 Exemplare erscheinen bei uns in der Büchergilde. Im Museum für Druckkunst in Leipzig werden die Endprodukte vorgestellt und dürfen anschließend bestaunt werden!


Theresa Wedemeyer ist seit 2011 Buchbinderin und führt darin seit 2022 den Meistertitel. Sie ist Vorstandsmitglied des Vereins für die Schwarze Kunst e.V. sowie 1. Vorsitzende des MDE. Sie ging mehrere Jahre auf die traditionelle Walz, dann folgte die Weiterbildung an der Akademie für Gestaltung in Münster zur Designerin (HWK). Sie ist freiberuflich in einer eigenen Werkstatt tätig.


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Papiermühle Homburg
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Verein für die Schwarze Kunst Dresden e.V.
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Meister der Einbandkunst – Internationale Vereinigung e.V.