Oh, wie schön ist Panama?
Mit dem Amtsantritt Donald Trumps ist der Panamakanal wieder ins öffentliche Interesse gerückt. Denn der US-Präsident erhebt Ansprüche auf die in Mittelamerika befindliche Meerespassage, von deren Entstehung Cristina Henríquez in ihrem Roman Der große Riss erzählt. Sie setzt darin den Menschen ein Denkmal, ohne die es den Kanal heute nicht gäbe.

Obschon er nicht auf US-amerikanischem Staatsgebiet liegt, betrachtet Donald Trump den Panamakanal quasi als Eigentum der USA. Die Frage nach dem Besitz des Kanals ist eine heikle, denn schon 1905 bekannte der damalige Präsident Theodore Roosevelt, es sei Amerikas Aufgabe, den Kanal zu bauen. Dass damit aber keinesfalls gemeint war, dass die USA die Bauarbeiten am Kanal übernehmen sollten, lässt sich aus Cristina Henríquez’ Roman Der große Riss erfahren. Das Buch der renommierten US-amerikanischen Autorin und Journalistin setzt all jenen Menschen ein Denkmal, die zwar entscheidend am Bau des 80 Kilometer langen Kanals am panamaischen Isthmus mitwirkten, die im Gegensatz zu Bauherren und Präsidenten aber schon lange vergessen sind.

Eine der zentralen Figuren in diesem multiperspektivisch erzählten Roman ist der 17-jährige Omar Aquino, dessen von Henríquez geschildertes Schicksal stellvertretend für das der vielen Bauarbeiter steht, die in harter körperlicher Arbeit den Kanal einmal quer durch die Landenge trieben. Der Fischersohn aus Panama hat sich zusammen mit anderen Männern aus über 90 Nationen an der Baustelle eingefunden, um am Bau des Kanals mitzuwirken. Unter US-amerikanischer Aufsicht tragen die Männer in der feuchten Hitze Kubikmeter um Kubikmeter Erde ab, um das Bauvorhaben zu vollenden. Eine andere Figur in Henríquez’ Roman ist die junge Ada Bunting. Sie ist heimlich von ihrer Heimat auf Barbados nach Panama gereist, um dort im geschäftigen Treiben rund um das Großprojekt Arbeit zu finden. Ihr Ziel ist es, Geld für eine Operation ihrer Schwester zu verdienen. Sie findet Aufnahme im Haushalt des Ehepaars John und Marian, wo sie als Hausmädchen arbeitet, während John als Arzt die Malaria ausrotten will, die viele Opfer unter den Bauarbeitern des Kanals fordert.

Der große Riss erzählt vom Leben rund um die Großbaustelle und zeigt die Opfer, die das US-Vorhaben unter den vielen zugewanderten Arbeitern kostete. Die körperliche Kraftanstrengung, der stete Druck, unter dem die Arbeiter standen, der imperiale Hunger der US-amerikanischen Bauherren, die für den Bau des Kanals sogar ganze Dörfer umsiedelten – eindringlich und mit viel Humor und Empathie für ihre Figuren lässt Henríquez die Geschichte hinter dem Bauwerk lebendig werden.
Es waren Zeiten, in denen sich das große Rad der Innovationen rasant drehte.
Besonders spannend sind neben der Geschichte der Figuren die vielen Parallelen, die sich zum imperialen Streben der USA in diesen Tagen ergeben. Während sich die Elite abschottet, eigene Läden hat und Früchte lieber aus den USA importiert, statt die Ressourcen vor Ort zu nutzen, werden die aus dem Süden stammenden Arbeiter von ihren US-amerikanischen Aufsehern gnadenlos angetrieben und geschunden, damit die USA von der kürzeren Schiffsroute durch die Landenge wirtschaftlich profitieren können. Dass der Panamakanal 1999 endlich vom Besitz der USA in den Panamas überging, nur um heute wieder von den USA zurückgefordert zu werden, ist eine bittere Pointe der langen Geschichte des Panamakanals, auf die man nach der Lektüre von Cristina Henríquez’ Roman mit anderen Augen blickt.
Marius Müller lebt und liest in Augsburg. Auf seinem Blog Buch-Haltung.com schreibt er über Bücher, die ihn faszinieren und begeistern.
Die Autorin
Cristina Henríquez, geboren in Delaware, ist eine US-amerikanische Autorin. Ihr Roman The Book of Unknown Americans (2014) wurde von The New York Times als eines der Bücher des Jahres ausgewählt. Sie schreibt regelmäßig Beiträge für The New Yorker, The New York Times, The Wall Street Journal, The Atlantic und TIME. Cristina Henríquez lebt in Illinois.
Der Übersetzer
Maximilian Murmann, geboren 1987, ist Literaturübersetzer und Sprachwissenschaftler. Er übersetzt aus dem Finnischen, Estnischen und Englischen ins Deutsche und lebt mit seiner Familie in München.