Die berauschende Idee von Frieden
In seinem Roman Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste lässt Jakob Hein seinen jungen Protagonisten Grischa Tannberg seine berufliche Karriere in der Staatlichen Plankommission der DDR starten, ausgerechnet in der für Afghanistan zuständigen Abteilung der Kommission. Er wagt ein wirtschaftliches Experiment der besonderen Art: Cannabis, staatlich kontrolliert und offiziell vertrieben.

Als engagierter Jungaktivist mit festem sozialistischem Wertefundament – die Mutter Kaderleiterin im Kombinat, der Vater Zweiter Sekretär der Bezirksleitung in Gera – bricht Grischa in Jakob Heins Roman Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste Anfang der 1980er-Jahre aus der thüringischen Provinz auf ins ferne Berlin. Dort soll er im Auftrag des Staates die Handelsbeziehungen zum Bruderland Afghanistan stärken.
Gleich zu Beginn wird dem eifrigen Genossen deutlich gemacht, wie die Devise in der Abteilung heißt: „Sie warten darauf, dass etwas zu tun ist, und bleiben dabei in innerer Spannung“ – kurz: das „kunstvolle Warten“ als Hauptbeschäftigung. Sein Tatendrang kann allerdings nur kurz gebremst werden. Grischa hat nämlich eine Idee. Kurzum besorgt er sich Schreibmaschine und Papier, geht in die Bibliothek und fängt an zu tippen. Er legt seinem Vorgesetzten Burg einen kühnen Plan vor: Durch den Import von afghanischem Cannabis – einem der wenigen Exportgüter des Landes – soll nicht nur die DDR profitieren, sondern zugleich der westliche Klassenfeind geschwächt werden. Was nach einem Witz klingt, wird im Roman zu einem durchdachten Modell zur Devisenbeschaffung – legal, staatlich organisiert und erstaunlich effektiv. Grischa reist mit einer Delegation nach Afghanistan, um dort die Verhandlungen zu führen.

Jakob Hein schildert in Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste seine Geschichte mit trockenem Humor, genauer Beobachtung und einer Erzählsprache, die nie ins Groteske abrutscht. Gerade das macht die satirische Schärfe des Romans so wirkungsvoll. Hein entfaltet seinen Witz in der präzisen Beschreibung von Szenen wie absurden Machtverhältnissen, Tagträumen und belanglosen Büromomenten – alles mit leiser Ironie und einem Auge fürs Alltägliche. Besonders raffiniert ist der Aufbau der Nebenfiguren: Wiebke Hangelar etwa, eine junge Beamtin im westdeutschen Ministerium für innerdeutsche Beziehungen, dient als Spiegelbild zu Grischa – ebenfalls klug, unterfordert, aber im falschen System. Ihr Vorgesetzter Lagercrantz ist eine Karikatur der panischen Verwaltung, die Veränderung fürchtet, bevor sie überhaupt begonnen hat.
Wie hat sich der Rausch auf Ihre Einstellung zum Sozialismus ausgewirkt?
Der Roman funktioniert als Satire auf beiden Seiten der Mauer. Hein spart weder mit Seitenhieben auf die Planwirtschaft noch auf westliche Bedenkenträgerei. Der verwegene Plan von Grischa Tannberg bringt Bewegung in festgefahrene Verhältnisse, unterläuft ideologische Grenzen, schafft echte Nachfrage. Gerade deshalb muss er verschwinden. Was anfangs wie eine Spinnerei aussieht, wird zur ernsthaften Bedrohung, weil es die Absurdität der bestehenden Systeme offenlegt.

Jakob Hein hat mit Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste einen sprachlich feinen, klug konstruierten und dabei höchst unterhaltsamen Roman geschrieben. Zwischen Satire, historischer Parodie und politischem Kommentar gelingt ihm eine literarische Balance, die ebenso komisch wie nachdenklich ist. Ein Buch, das zeigt, wie nah das Absurde oft an der Wahrheit liegt – eine Geschichtssatire mit einer herrlich schrägen Komik. Lassen Sie sich diese Lektüre nicht entgehen!
Stephanie Krawehl war Inhaberin der Buchhandlung Lesesaal und plant auf Instagram eine Neuauflage von „Vorgelesen bekommen“, einer Vorstellungsreihe von Novitäten.
Der Autor
Jakob Hein, geboren 1971 in Leipzig, arbeitet als Psychiater und Schriftsteller. Sein Buch Hypochonder leben länger und andere gute Nachrichten aus meiner psychiatrischen Praxis (2020) wurde zum Bestseller. Zuletzt erschien sein Roman Der Hypnotiseur oder Nie so glücklich wie im Reich der Gedanken im Frühjahr 2022. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.