Schrumpfen für die Zukunft


Ulrike Herrmann im Interview über Das Ende des Kapitalismus und die Klimakrise

 

Die Klimakrise verschärft sich täglich, doch ein radikales Umsteuern scheint in weiter Ferne. Eines der Probleme: die kapitalistische Wirtschaftsordnung. Die Autorin Ulrike Herrmann spricht mit dem Wissenschaftsjournalisten Ralf Stork (spektrum, Berliner Zeitung) darüber, wie eine Welt ohne Wachstum gelingen könnte.

174324_Herrmann_Kapitalismus_3D_01.png

Ralf Stork: Ihr Buch heißt Das Ende des Kapitalismus. In den ersten Kapiteln schreiben Sie viel von den Errungenschaften des Kapitalismus. Also, was hat das Wirtschaftssystem der Menschheit Gutes gebracht?

Ulrike Herrmann: Eine der sichtbarsten Errungenschaften ist die steigende Lebenserwartung. Früher wurden die Menschen im Durchschnitt 35 Jahre alt. Heute liegt die Lebenserwartung in Deutschland bei über 80. Außerdem werden wir gesünder und schmerzfreier alt. Es gibt künstliche Hüftgelenke, Herzschrittmacher oder lokale Betäubung beim Zahnarzt. Zudem ist der Alltag viel einfacher geworden. Erst mit der Erfindung der Waschmaschine haben Frauen überhaupt die Möglichkeit bekommen, berufstätig zu sein. Auch die unbeschwerte Kindheit ist erst mit dem Kapitalismus entstanden. Die Eltern sind jetzt wohlhabend genug, damit die Kinder spielen können und nicht mehr bei der Arbeit helfen müssen.

174324_Herrmann_Kapitalismus_BA_05.jpg

Und warum soll der Kapitalismus dann enden?

Der Vorteil des Kapitalismus ist, dass er Wachstum und Wohlstand erzeugt. Aber er benötigt auch Wachstum, um stabil zu sein und nicht in Krisen zu geraten. Auf einer endlichen Welt kann man aber nicht unendlich wachsen. Wir Deutschen verbrauchen so viele Rohstoffe, als gäbe es drei Planeten. Wir haben aber nur eine Erde. Also müssen wir schrumpfen. Das geht mit dem Kapitalismus nicht. Wenn die Wirtschaft dauerhaft schrumpft, kommt es zu schweren Krisen und das System kollabiert.

Könnte die Lösung nicht in „grünem“ Wachstum liegen?

Alle haben verstanden, dass der Kapitalismus Wachstum braucht. Deshalb haben auch alle Parteien „grünes“ Wachstum als Ziel ausgegeben. Aber das ist eine Illusion. Aktuell liefern Wind- und Sonnenenergie zusammen gerade mal knapp sieben Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs. Selbst wenn wir alle verfügbaren Flächen nutzen, wird die grüne, CO2 -neutrale Energie nicht in der Lage sein, unseren Energie-Hunger zu stillen. Also müssen wir schrumpfen.

 

Viele WachstumskritikerInnen wollen das bestehende System durch eine ökologische Kreislaufwirtschaft ersetzen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist das auch bei Ihnen das erklärte Ziel. Wie unterscheiden sich Ihre Positionen?

Stimmt, das Ziel muss eine ökologische Kreislaufwirtschaft sein, in der man nur noch so viel verbraucht, wie sich recyceln lässt. Die entscheidende Frage ist, wie kommt man da hin? Aber über diese Transformation wurde bislang nicht nachgedacht. Die WachstumskritikerInnen machen den Fehler, dass sie die Vision einer Kreislaufwirtschaft bereits für den Weg halten.

174324_Herrmann_Kapitalismus_BA_02.jpg

 

Als Lösungsansatz und Vorbild ziehen Sie die britische Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg heran. Warum?

Auch die Briten mussten ihre Friedenswirtschaft schrumpfen. Sie wurden vom Krieg überrascht und mussten ihre Fabriken freiräumen, um die nötigen Waffen produzieren zu können. Sie erfanden dafür eine demokratische, private Planwirtschaft. Die Fabriken wurden nicht verstaatlicht, aber der Staat hat Vorgaben gemacht, was noch produziert wird. Die knappen Güter wurden dann gerecht verteilt. Es wurde also rationiert, zum Beispiel Fleisch, Zucker, Käse, Butter und Tee, aber auch Kleidung, Seife oder Kohle. Arm und Reich wurden gleich behandelt, deshalb war das System ungemein populär.

Wir können die Erde nicht aufheizen, bis wir nicht mehr auf ihr leben können. Entweder wir steigen jetzt geplant aus dem Wachstumssystem aus. Oder das System kollabiert wegen der sich verschärfenden Klimakrise. In jedem Fall wird der Kapitalismus zu Ende gehen, entweder geplant und rechtzeitig oder im absoluten Chaos.

Ulrike Herrmann im Interview über das Ende des Kapitalismus

Wenn wir das Beispiel der Kriegswirtschaft von damals auf heute übertragen, wie könnte das konkret aussehen?

Wir müssen die Frage vom Ende her denken: Wofür reicht die Öko-Energie, wenn wir sie maximal ausbauen? Fliegen geht dann nicht mehr, weder Kurzstrecke noch Langstrecke. Öko-Kerosin ist zwar technisch möglich, verbraucht aber zu viel Energie. Private E-Autos sind auch schwierig, weil es die reinste Energieverschwendung ist, dass tonnenschwere Fahrzeuge gerade mal einen Passagier transportieren. Banken hätten in einer schrumpfenden Wirtschaft auch keine Zukunft mehr, weil Kredite nur zurückgezahlt werden können, wenn es Wachstum gibt. Die Werbebranche würde ebenfalls Schwierigkeiten bekommen, weil knappe Produkte auch ohne Anzeigen ihre Abnehmer finden. Der Journalismus müsste sich auch verändern, weil die Medien stark durch Werbung finanziert sind. Vermutlich müsste man zum stationären Fernsehen zurückkehren, weil das Streamen von Filmen und Serien große Mengen Energie verbraucht.

 

Das sind extrem radikale Veränderungen ...

Es gibt das Bonmot des Kulturwissenschaftlers Frederic Jameson, dass es leichter ist, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Da ist was dran!

Wenn die Wirtschaft dauerhaft schrumpfen muss, bleibt kein Stein auf dem anderen, auch wenn es kontrolliert und staatlich geplant passiert. Die Einkommen würden stark sinken und Millionen Menschen müssten in anderen Bereichen Arbeit finden. Allein in der Autoindustrie sind in Deutschland heute direkt und indirekt 1,7 Millionen Menschen beschäftigt. Ein Großteil müsste sich umorientieren. Aber es gibt keine Alternative. Wir können die Erde nicht aufheizen, bis wir nicht mehr auf ihr leben können. Entweder wir steigen jetzt geplant aus dem Wachstumssystem aus. Oder das System kollabiert wegen der sich verschärfenden Klimakrise. In jedem Fall wird der Kapitalismus zu Ende gehen, entweder geplant und rechtzeitig oder im absoluten Chaos.

174324_Herrmann_Kapitalismus_BA_03.jpg

 

Bis wann müsste denn das Ende der Wachstumsgesellschaft vollzogen sein?

Die Bundesregierung – übrigens noch unter Angela Merkel – hat sich dazu verpflichtet, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral ist. Das Datum ist kein Zufall: Danach drohen verschiedene Klima-Kipppunkte, sodass sich die Erderwärmung dann verselbstständigt. Daraus folgt, dass wir bis 2045 in eine ökologische Kreislaufwirtschaft wechseln müssen.

 

Gibt es – außer, dass die Welt nicht untergeht – noch andere Vorzüge an diesem neuen System voller Einschränkungen?

Es gibt bisher keine Schätzungen, wie stark unsere Wirtschaftsleistung schrumpfen muss, um klimaneutral zu werden. Aber mehr als minus 50 Prozent sind es bestimmt nicht. Dann wären wir immer noch so reich wie 1978. Wer damals schon gelebt hat, weiß: Wir waren genauso glücklich wie heute. Es könnte also ein schönes, entspanntes Leben sein.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Herrmann!

 

Die Fragen stellte Ralf Stork.

Banner zu Das Ende des Kapitalismus

Die Autorin

Ulrike Herrmann

Ulrike Herrmann, geboren 1964 in Hamburg, ist ausgebildete Bankkauffrau, absolvierte die Henri-Nannen-Schule und studierte Philosophie und Geschichte. Seit 2000 arbeitet sie bei der taz und publiziert zu sozial- und wirtschaftspolitischen Themen. 2010 erschien ihr erstes Buch Hurra, wir dürfen zahlen. Es folgten Der Sieg des Kapitalismus, Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung und Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen, die sämtlich Bestseller geworden sind.


Empfehlungen