Ein Stück Heimat, zum Greifen nah
No grazie, non fumo – Francesca Petrarcas Portrait ihrer nonna
Francesca Petrarca erzählt mit No grazie, non fumo die besondere Migrationsgeschichte ihrer italienischen Großmutter. Im Interview mit der Büchergilde spricht sie über die Hürden der Schweizer Migrationspolitik, den Wert von Erinnerungen und die verbindende Wirkung von Essen.

Liebe Francesca Petrarca, Sie erzählen in No grazie, non fumo die Geschichte Ihrer Großmutter und damit ein Stück schweizerisch-italienische Migrationsgeschichte. Was inspirierte Sie, ihre Geschichte aufzuschreiben?
Meine nonna war eine Erzählerin, die mich schon als Kind mit Anekdoten aus ihrem Leben großartig unterhalten konnte. Ich saß bei ihr in der Küche, schaute zu, wie sie all die leckeren Gerichte zubereitete, und tauchte in ihre Erinnerungen ein. Das Bild, welches sie von sich zeichnete, war aber ein anderes als dasjenige, welches ich aus Darstellungen über italienische Migrantinnen kannte: Meine nonna bestand stets darauf, zu betonen, dass sie als unabhängige junge Frau in die Schweiz zum Arbeiten gekommen ist. Die Saisonarbeiterin, wie sie eine war, ist in der Geschichtsschreibung wenig existent und lückenhaft dargestellt. Das wollte ich ändern.



Sie gehen nicht streng chronologisch vor, vielmehr leiten Ihre Gefühle und Gedanken durch den Text, dazwischen finden sich sachliche Einschübe zur Schweizer Migrationspolitik. Warum wählten Sie dieses besondere Erzählformat?
Ich habe mir den Freiraum genommen, mich sowohl auf schriftlicher als auch auf illustrativer Ebene auszuleben, und habe das literarische Porträt meiner nonna mit einem gestalterischen verwoben. Dass Erinnerungen und Gedanken nicht linear sind, habe ich dabei als Vorteil gesehen. Es war mir ein Anliegen, diese Familiengeschichte in einen kollektiven Kontext zu setzen, weshalb ich die Historikerin Flavia Grossmann gebeten habe, das Porträt mit thematischen Beiträgen zu ergänzen. Inmitten all der Anekdoten zu meiner nonna, den Fotos aus dem Familienalbum und dem Inventar ihrer Gegenstände bildet das Lieblingsgericht meiner Familie den roten Faden im Buch: die Lasagne.
Meine nonna bestand stets darauf, zu betonen, dass sie als unabhängige junge Frau in die Schweiz zum Arbeiten gekommen ist. Die Saisonarbeiterin, wie sie eine war, ist in der Geschichtsschreibung wenig existent und lückenhaft dargestellt. Das wollte ich ändern.
Die Arbeitsabkommen der 1950er- und -60er-Jahre wurden auf Temporalität ausgelegt, in Deutschland verinnerlicht das bereits die gebräuchliche Bezeichnung „GastarbeiterIn“. Welche speziellen Hindernisse brachte das Schweizer Gesetz für Ihre Großeltern mit sich?
Für meine jungen Großeltern war der Beginn ihrer Elternschaft sehr bitter, da sie ihre kleine Tochter aufgrund der damaligen strengen Bestimmungen zum Familiennachzug in Italien zurücklassen mussten. Zudem machte das „Rotationsmodell“ es unmöglich, anzukommen und sich einzuleben. Zusätzliche Schwierigkeiten im Alltag kamen dazu: die unstete Wohnsituation, der körperlich strenge Arbeitsalltag, die ermattende Sprachlosigkeit und die spürbare AusländerInnenfeindlichkeit.

Es wird geschätzt, dass in Deutschland 20 bis 25 Prozent der Zuwandernden dieser Zeit Frauen waren, dennoch dominiert die Vorstellung von jungen männlichen Arbeitsmigranten. Als wie „typisch“ schätzen Sie die Biografie Ihrer Großmutter im Kontext der Arbeitsmigration ein?
Meine Großmutter, die gelernte Schneiderin war, kam 1956 als unverheiratete Frau in die Schweiz. Sie verließ Italien, um im Ausland als „Küchenmädchen“, „Buffettochter“ und „Hausangestellte“ Geld zu verdienen. Anhand ihrer Registerkarte kann ich ablesen, dass sie an vielen verschiedenen Adressen gewohnt und gearbeitet hat und alle paar Monate zurück nach Italien gefahren ist. Eine Migrationsgeschichte, wie sie viele Frauen damals erlebt haben.

Wie offen sprach Ihre Großmutter mit Ihnen über Ihre Ankunftszeit in der Schweiz?
Ich erinnere mich, dass sie die Zeit mit gemischten Gefühlen empfunden hat: Einerseits war sie zum ersten Mal in ihrem Leben auf sich gestellt, weit weg von ihren Eltern, und genoss dies sehr. Anderseits fand sie sich in einem Umfeld wieder, wo sie rassistischen und frauenfeindlichen Haltungen gegenüberstand. Sie sprach ziemlich offen darüber, und es war ihr wichtig, dass ich ihre Sichtweise der Geschichte erfuhr.
Warum war das Kochen und Essen so zentral für Ihre Familie?
Essen ist ein sozialer Akt, der viele Zwischenschritte benötigt und wo meine Großeltern sich perfekt ergänzen konnten: Einkaufen war die Aufgabe meines nonnos, Kochen das Feld meiner nonna, und das Essen betraf uns alle. Für meine Großeltern war das Essen auch eine kreative Handlung. Nach einer strengen Arbeitswoche ein nährendes Gericht zu verspeisen war zudem für das Gemüt notwendig. Über das Essen entstehen Nähe und die Möglichkeit des Austausches. Dank meinen Großeltern sind mir all diese Aspekte wichtig, und ich versuche, sie in meinem Alltag fortzuführen. So habe ich zudem die Möglichkeit, ihnen nahe zu sein.

Anhand von persönlichen Erinnerungs- und Erbstücken leiten Sie die LeserInnen durch Ihre Erinnerungen und das Leben Ihrer Großmutter. Was sind immaterielle Werte, die Sie von ihr vermittelt bekamen?
Wie kreativ es sein kann, zusammen zu kochen, und wie schön es ist, zusammen zu essen. Zudem hat sie mir gezeigt, wie man den strengen Alltag mit einem humorvollen Augenzwinkern bewältigen und wie man in schwierigen Situationen als Frau schlagfertig reagieren kann. Meine nonna hat mich gelehrt, wie man den Gegenständen Sorge trägt und dass man für sich Rituale entwickeln muss, um auch sich selbst Sorge zu tragen.

Zu guter Letzt: Ihr Geheimtipp für die perfekte Lasagne?
Eine Lasagne braucht vor allem Zeit: für den Einkauf, für das Zubereiten der cremigen Saucen und für das Kneten des Pasta-Teigs. Sie braucht zudem viel Olivenöl (mehr, als man denkt) und genug Parmesan, den man jeweils bis in die Ecken der Auflaufform streuen muss. Zudem ist die perfekte Lasagne erst dann perfekt, wenn man zuvor ein Amuse-Bouche in einer Espresso-Tasse gekostet hat. Aber dazu mehr im Buch ...
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Petrarca!
Die Fragen stellte Marlen Heislitz.


Die Autorin

Francesca Petrarca, geboren 1988 in Winterthur, studierte in Basel Kunstgeschichte, Medienwissenschaften, Visuelle Kommunikation und Bildforschung. Sie arbeitet als selbstständige Buchgestalterin. Ab und zu überkommt sie die Sehnsucht nach ihrer nonna, und da bleibt ihr nichts anderes übrig, als mal wieder Lasagne zu kochen.
CoffeeCup Paper

Was der Teig für die Lasagne, ist das Papier für das Buch ...
Bisher waren Einweg-Papierbecher reiner Abfall – jetzt wird etwas daraus: Ein einmaliges Upcycling-Verfahren verwandelt To-go-Becher in das hochwertige „CoffeeCup Paper“.
Allein in Deutschland werden jährlich ca. 1,7 Milliarden kunststoffbeschichtete Becher verbraucht. Das innovative Verfahren der IGEPA Großhandel GmbH bringt bis zu 90 % der Papierfasern eines Behälters zurück in den Recycling-Kreislauf und reduziert so die Abfallmenge aus Einweg-Verpackungen.
Für Einband und Inhaltspapier von No grazie, non fumo fiel unsere Wahl auf dieses Produkt „made in Germany“. Denn CoffeeCup Paper präsentiert einen kreativen umweltfreundlicheren Umgang mit dem Abfall des schnellen Cappuccino zwischendurch – zu Recht ein Finalist des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2021.
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