Karen Duves Regenroman
Illustriert von Line Hoven
Es tropft, nieselt und schüttet wie aus Eimern: 1999 erschien Karen Duves belletristisches Debüt mit dem passenden Titel Regenroman. Die Büchergilde hat ihn jetzt in illustrierter Fassung neu aufgelegt.

Man hätte gleich ahnen können, dass diese Geschichte nicht gut ausgeht. Als Leon und Martina, seit Kurzem verheiratet, auf dem Weg zur Besichtigung eines Hauses in der Einöde von Mecklenburg-Vorpommern sind, halten sie für eine Pinkelpause auf einem kleinen Parkplatz an. Und finden dort eine aufgedunsene Frauenleiche, die im Schilf am Rand eines schmalen, schlammigen Flusses liegt. Martina will die Polizei rufen, doch Leon hält sie vehement zurück. Bloß keine Scherereien, meint er, irgendwann werde die Tote sicher von jemand anderem gefunden. Sie entscheiden sich letztendlich für einen anonymen Anruf. Es ist ein schlechtes Omen.
Leon Ulbricht sieht durchschnittlich aus, ist klein gewachsen und als Lyriker erfolglos, aber mit einer enormen Selbstüberschätzung ausgestattet. Mit dem Kauf des Hauses am Rande eines Moors möchte er seiner Vorstellung gerecht werden, wie man als genialischer Schriftsteller zu leben hat: zurückgezogen und mit einer jungen Frau an seiner Seite, die ihm nach einem anstrengenden Tag Pantoffeln und Bier neben den Sessel stellt. Wie ein richtiger Mann eben: „Ein Mann war jemand, der einen Haufen Geld verdiente, ein Haus besaß, Kinder zeugte, Autos reparieren konnte und jedes Gurkenglas aufbekam. Ein Mann war jemand, der einen stehen hatte, wenn es drauf ankam – und damit fertig.“ Dass er handwerklich völlig unbegabt ist und womöglich sogar beim Öffnen eines Gurkenglases scheitern würde, gesteht er sich nicht ein. Frauen verachtet er, seine eigene zwingt er sogar, den Namen Martina anzunehmen – ihr eigentlicher Name Roswitha hatte ihm zu proletenhaft geklungen.
Weil sein letzter Gedichtband Schreib oder Schrei zum Ladenhüter wurde, kommt es ihm gerade recht, dass er über seinen Freund Harry an die zwielichtige Hamburger Kiezgröße Pfitzner gerät. Der beauftragt Leon damit, als Ghostwriter seine Biografie aufzuschreiben, enormer Vorschuss inklusive. Ärgerlich nur, dass sich Pfitzners und Leons Vorstellungen in Sachen Literatur radikal unterscheiden: Der Ex-Boxer möchte sich gerne als Held stilisieren und streicht Leon seitenweise „Geschwurbel“ raus; hält dieser aus stilistischen Gründen dagegen, nimmt Pfitzner gerne den Weg in den Sumpf auf sich, um seinen Argumenten mit den Fäusten Nachdruck zu verleihen.

Dabei ist Leon sowieso schon mit den Nerven am Ende. Die bittere Realität kommt nicht einmal in die Nähe der Idylle, die er sich aus einer Stadtwohnung heraus imaginiert hatte. Das Haus gleicht einer Bruchbude, aus dem Wasserhahn fließt braune Brühe und noch dazu regnet es – tagelang, monatelang, ununterbrochen: Es tropft, nieselt, plätschert, strömt und fließt, es hört überhaupt nicht mehr auf. Und mit den Wassermassen, die langsam, aber sicher nicht nur das Fundament des Hauses, sondern ebenfalls die von Anfang an wenig liebevolle Ehe zwischen Leon und Martina unterspülen, kommen zu allem Übel – einer biblischen Plage gleich – noch Nacktschnecken. Zu Hunderten schleimen sie durch den Garten und gleiten die Wege entlang; man kann sie eimerweise sammeln und ins Moor werfen – am nächsten Tag sind alle wieder da. Da können auch die beiden Nachbarinnen Isadora und Kay nicht helfen, die hexengleich in einem ebenso abgeschiedenen Haus am anderen Ende des Moors leben und, den Schnecken nicht unähnlich, immer wieder in das Leben von Leon und Martina hineinglitschen. Die Natur holt sich unerbittlich ihr Terrain zurück, als verweichlichter Städter kann man den Kampf mit ihr nur verlieren.

Im Jahr 1999 erschien der Regenroman als belletristisches Debüt der bis dato mit Erzählungen bekannt gewordenen Hamburger Autorin Karen Duve und teilte die Literaturkritik in zwei Lager. Ein „sprachgewaltiges und erbarmungsloses Untergangsepos“ sagten die einen, während andere den inkonsequenten Handlungsstrang kritisierten und das Ergebnis gar als „irreparablen Wasserschaden“ bezeichneten. Die Anspielungen auf biblische Plagen und die sieben Todsünden – Leon ist hochmütig, habgierig und missgünstig, während seine Gattin ihren Frust in sich hineinfrisst und später wieder erbricht – seien zwar ersichtlich, hätten aber kaum Konsequenzen für die Handlung und die Charaktere. Und in der Tat verliert sich der Spannungsbogen gelegentlich wie die Hauptfigur in der Dunkelheit des Sumpfes. Als LeserIn zieht man nach diesen Stellen mit ein wenig Mühe Körperteil für Körperteil wieder aus dem Schlamm, um zurückzukehren in das Elend von Leon und Martina. Regenroman ist kein Wohlfühlbuch, es ist erbarmungslos, deprimierend und bisweilen detailliert brutal. Eine bedrohliche Atmosphäre, die sich auch in Duves 2016 erschienenem Roman Macht wiederfindet.

Wie bebildert man einen Roman voller Regen und zwischenmenschlicher Kälte, in dem nie gelacht wird und der dennoch von einem subtilen Humor durchzogen ist? Für Line Hoven, die die Neuauflage des Buches illustrierte, war dies keine leichte Aufgabe. Sie las den Text für den Auftrag erneut, nicht ohne sich an ihre ersten Eindrücke zu erinnern: „Das ist eine Art Buch, die ich eigentlich nicht mehr lese, weil ich zu ängstlich und auch fantasiebegabt geworden bin. Das Buch hatte ich bereits zwei Jahrzehnte zuvor gelesen, als ich noch Nerven wie Drahtseile hatte. Ich wusste also, dass ich die Lektüre überleben würde und alles nur auf dem Papier passiert, und es hat mich wieder vollkommen in seinen Bann gezogen“, erzählt sie. „Mich interessiert vor allem, ein anderes Licht auf den Text zu werfen. Wie würde ich es schaffen, das Humorvolle, das in Duves düster wirkender Geschichte immer wieder aufblitzt, auch in meinen Bildern aufleuchten zu lassen, ohne zu viel zu interpretieren?“
Hoven arbeitet mit schwarzem Schabkarton, einem Brett, welches mit weißer Porzellanerde beschichtet und dann mit schwarzer Farbe überdeckt wird. Mit einem scharfen Gegenstand – in ihrem Fall ein simpler Cutter aus dem Baumarkt – wird die schwarze Farbe von dem darunterliegenden Weiß abgekratzt. Es ist eine sehr filigrane und zeitaufwendige Technik, rund 30 Stunden arbeitet sie an einem Bild bei einer Größe von 18 x 24 Zentimetern. Jedem Kratzbild geht eine detaillierte Zeichnung voraus; hier manifestiert sich ihre Idee zu einer konkreten Darstellung. Für Line Hoven der schwierigste Part der Arbeit: „Diese Vorzeichnung anzufertigen ist für mich wie joggen gehen: Ich hasse jede Sekunde. Schweißtreibend versperren mir Anatomie, Perspektive und Bild-Idee-Zweifel, unüberwindbaren Bergen gleich, meinen Weg. Danach allerdings fühle ich mich wie ein neuer Mensch. Manchmal schaue ich am nächsten Tag auf meine Zeichnung, und es fühlt sich nicht an, als hätte ich sie mir aus den Fingern gepresst.“

Ihren Kratzbildern für den Regenroman merkt man diesen kraftraubenden Prozess nicht an. Schalkhaft und leichtfüßig wirken die Illustrationen; etwa die von Leon, wie er nackt und ratlos inmitten von Bäumen steht. Oder jene, wo zwischen der detaillierten Darstellung von Blättern und Beeren ein nackter Hintern hindurchschimmert. Situationen, in denen den Romanfiguren nicht nach Lachen zumute ist, die von Line Hoven aber bewusst ins Absurde gekippt wurden: „Das Lustige und das Skurrile in einer unpassend scheinenden Umgebung verstärken sich bis ins Unendliche. Wie man vielleicht manchmal in Kirchen kichern muss und nicht aufhören kann“, sagt sie.


Unfreiwillige Situationskomik ist es dann auch, die den Roman immer wieder für einen Moment aus seiner von Wasser durchweichten Trostlosigkeit heraushebt; etwa, wenn Leon mit einem Bandscheibenvorfall unbeweglich auf dem Wohnzimmerboden liegt und Martina den mit kriechbegeisterten Schnecken gefüllten Eimer neben ihm vergisst. Manchmal trägt Karen Duve mit den überspitzten Schicksalsschlägen etwas zu stark auf, doch hat man sich als LeserIn da schon längst eingerichtet in der absurden Szenerie dieses zwischenmenschlichen Desasters. Letztendlich wird der tragisch-komischen Persona Leon bis zur völligen Selbstaufgabe nichts erspart bleiben; zurück bleiben am Ende nur Pfützen, Matsch und Schnecken.
Ein Beitrag von Julia Schmitz


Die Autorin
Karen Duve, geboren 1961 in Hamburg-Lemsahl, verfasste zahlreiche Romane, darunter Dies ist kein Liebeslied (2002), Die entführte Prinzessin (2005) und Taxi (2008), die in 14 Sprachen übersetzt wurden; Taxi kam 2015 in die Kinos. Für Fräulein Nettes kurzer Sommer (2018) erhielt Duve den Carl-Amery-Preis, den Düsseldorfer Literaturpreis und den Solothurner Literaturpreis. Sie lebt in der Märkischen Schweiz.
Die Illustratorin

Line Hoven ist Comiczeichnerin und Illustratorin. Ihre Arbeitsweise ist – so könnte man sagen – die gefährlichste Art zu zeichnen: Sie kratzt ihre Motive mit einem Messer in Schabkartons. Ihre Graphic Novel Liebe schaut weg wurde in mehrere Sprachen übersetzt und u.a. mit dem e.o.plauen-Förderpreis ausgezeichnet. Sie veröffentlicht in Magazinen und Zeitungen und wurde mit dem Hans-Meid-Preis für Buchillustration geehrt. Sie lebt in Hamburg.