Käthe Kollwitz und Gerhart Hauptmann: Ein Künstleraustausch
Herausgeberin Dr. Annette Seeler im Interview mit der Büchergilde
Dass Käthe Kollwitz und Gerhart Hauptmann – zwei der wichtigsten Persönlichkeiten des kulturellen Lebens der Weimarer Republik – über Jahrzehnte miteinander im regen Austausch standen, zeigt der Band Ja, wir waren ... jung, sehr jung und wirklich jung. Für die Büchergilde hat Herausgeberin Dr. Annette Seeler erstmals die erhaltene Korrespondenz von Kollwitz und Hauptmann vollständig zusammengestellt und mit umfangreichem, teilweise kaum bekanntem Material ergänzt. Dieser prächtige Band versteht sich als Einladung, die Künstlerfreundschaft zwischen Käthe Kollwitz und Gerhart Hauptmann neu zu entdecken.
Im Interview mit der Büchergilde erzählt Annette Seeler, wie sie auf den Briefwechsel von Kollwitz und Hauptmann aufmerksam geworden ist und welche zutiefst menschlichen Botschaften sich in der Korrespondenz zwischen den beiden entdecken lassen.
Kollwitz und Hauptmann führen vor Augen, dass man nicht nur vieles überleben, sondern auch schöpferisch verwandeln kann
Büchergilde: Wann sind Sie das erste Mal mit Käthe Kollwitz in Berührung gekommen bzw. seit wann beschäftigen Sie sich beruflich mit ihr?
Annette Seeler: An Käthe Kollwitz geriet ich eher durch Zufall. Ich bin schon seit Kindertagen sehr an Kunst interessiert, zeichnete selbst gern und wollte sogar professionelle Künstlerin werden. In meiner Jugend galt mein Interesse allerdings mehr der Malerei nach 1945, etwa Picasso, und dann der (abstrakten) Gegenwartskunst – Seheinflüsse, die mich nicht unbedingt Käthe Kollwitz näher gebracht haben. Eine Reise nach Florenz, in die Hochburg der Renaissance, bestärkte mich dann darin, Kunstgeschichte zu studieren. Und letztlich führte mich ein Studentenjob an der Kasse des Käthe-Kollwitz-Museums in Berlin zu dieser erstaunlichen Künstlerin, hinein in ihr Universum, das mich bald auch als (angehende) Fachfrau beschäftigen sollte. Das war vor über 30 Jahren. Seitdem hat mich die Künstlerin nicht mehr losgelassen. Je mehr ich erkannte, wie dicht und intelligent sie ihre so einfach scheinenden Bilder konstruiert hat, desto größer wurde, im Wortsinn, meine Begeisterung – und ich wollte diese Einsichten dann auch gerne tiefer erforschen und weitergeben.
Wie kam es zu der Idee, den Briefwechsel zwischen Käthe Kollwitz und Gerhart Hauptmann in der nun vorliegenden Form herauszugeben?
Auf diesen Briefwechsel war ich erstmals im Rahmen einer Recherche für ein Werkverzeichnis der Plastik von Käthe Kollwitz gestoßen, das war 2012 oder 2013. Ich habe ihn im Hinterkopf behalten als etwas, das noch einmal einer eingehenderen Betrachtung wert wäre – vor allem auch aus Sicht der Künstlerin. Die Forschung zu Hauptmann hatte sich dieses Fundus bereits zu einem früheren Zeitpunkt angenommen, nur eben ohne fachliche Expertise zu Käthe Kollwitz. Über einen Kollegen entstand der Kontakt zu Corinna Huffman, der Programmleiterin der Büchergilde, die auf der Suche war nach einem neuen Titel für die Reihe über Künstler-Paarungen im Sinne von zwei kreativ schaffenden Menschen, deren Werk in irgendeiner Weise durch die persönliche Verbindung befruchtet wurde. Das passte sehr gut, so fügte sich alles.
Was fasziniert oder berührt Sie an diesem Briefwechsel?
Vom rein wissenschaftlichen Interesse einmal abgesehen, finde ich die menschlichen Botschaften sehr bemerkenswert, die in diesem von der ersten Begegnung um 1886/87 bis zum letzten erhaltenen Brief von November 1943 reichenden Austausch zwischen dem Dichter und der Künstlerin aufscheinen. Leuchtet man die Umstände und Hintergründe der Briefe aus, dann wird deutlich, wie viele – auch zeitgeschichtliche – Krisen die beiden bewältigt haben. Das empfinde ich gerade unter den pandemischen Bedingungen der letzten beiden Jahre als sehr ermutigend. Kollwitz und Hauptmann führen vor Augen, dass man nicht nur vieles überleben, sondern auch schöpferisch verwandeln kann.
Wie lässt sich diese über so viele Jahre andauernde Beziehung zwischen Käthe Kollwitz und Gerhart Hauptmann beschreiben – auf menschlicher wie künstlerischer Ebene?
Ich denke, die erste persönliche Begegnung mit Gerhart Hauptmann und seinem Kreis kam für die junge Käthe – damals: Schmidt –, die da gerade am Beginn ihrer professionellen Ausbildung zur Künstlerin stand, tatsächlich einem Erweckungserlebnis gleich. Hauptmann war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch dabei, seinen Weg als Autor zu finden. Beide verbanden auch im Nachhinein ihr erstes Zusammentreffen mit ihren künstlerischen Anfängen. Solche Zeiten des Aufbruchs sind immer aufregend, verunsichernd und verheißungsvoll zugleich, und graben sich tief ins Gedächtnis ein.
Das nächste Wiedersehen, von dem wir wissen, fand dann schon auf professioneller Ebene statt, als Kollwitz 1893 die Uraufführung der „Weber“ (und die anschließende Premierenfeier im Beisein Hauptmanns) besuchte, ein Erlebnis, das sie nach eigener Schilderung regelrecht packte. Der davon ausgehende kreative Impuls für ihre eigene Umsetzung des Stoffs war sehr stark. Letztlich brachten ihre eigenen Fassungen des Weber-Motivs dann ja beiden den großen Erfolg. Wegfindung und Belohnung war damit bei ihr wie ihm mit ihrem Austausch verknüpft. Besonders im Alter werden solche Erinnerungen dann natürlich wieder bedeutsam. Das lässt sich auch aus dem erhaltenen Briefwechsel ablesen: In den späten Jahren erhielt der eine deutlich persönlichere Note und intensivierte sich. Zuvor, als beide noch sehr von ihrem aktiven Leben und Schaffen okkupiert waren, ging es in der Korrespondenz geschäftiger zu. Man kontaktierte sich, wenn es um Themen des öffentlichen Interesses ging – sieht man einmal davon ab, dass sie die Gewohnheit pflegten, sich gegenseitig alle fünf Jahre zum Geburtstag zu gratulieren. Insgesamt betrachtet kann man ihre Beziehung wohl nicht direkt als Freundschaft bezeichnen. Ihre private Lebensführung war schon sehr unterschiedlich, verbindend ist aber eindeutig der große Respekt füreinander als Schaffende. Das zeigt sich im Austausch sehr deutlich.
Sehr anregend war für mich außerdem Jovana Reisingers Blick auf Kollwitz, den sie auch im Buch artikuliert: Natürlich weiß ich, dass Künstlerinnen nach wie vor mit Benachteiligungen im Kunstbetrieb zu kämpfen haben. Inwieweit der untypische Erfolg von Käthe Kollwitz aber bis heute Fragen aufwirft, die eine gründlichere Ursachenforschung wünschenswert machen, das hat mir erst Reisingers Text verdeutlicht. Einmal mehr gilt auch hier: Man lernt tatsächlich nie aus.
Unter welchen Gesichtspunkten haben Sie die verwendeten Fotografien, Zeichnungen und Briefe für den Band ausgewählt?
Corinna Huffman und ich waren uns von Anfang an einig, den Briefwechsel unbedingt in seiner Gesamtheit vorzustellen – und zwar zusammen mit Abbildungen der originalen Auto- und Typografen. Es erschien uns wichtig, dass die Leser:innen ein Gespür für den physischen Aspekt eines solchen Austausches bekommen. Manch einer weiß heute ja gar nicht mehr, was Telegramme sind, wie sie zwischen unseren beiden Protagonisten hin und her gingen. Selbst eigenhändige Mitteilungen sind unterdessen etwas Seltenes. Umso faszinierender ist es die Handschrift eines berühmten Menschen zu sehen. Zudem haben wir uns um dokumentarisches Material bemüht, das man nicht so oft zu Gesicht bekommt. In der Auswahl der abzubildenden Werke von Kollwitz konzentrierten wir uns auf solche, die einen Bezug zu Gerhart Hauptmann haben: Der Zyklus „Ein Weberaufstand“ natürlich, der zwischen 1893 und 1897 entstanden ist, aber auch die Mappe „Abschied und Tod“ von 1924, zu dem Hauptmann ein Geleitwort verfasst hatte. Wichtig war uns im Besonderen, hier auch selten gezeigte Zeichnungen der Künstlerin präsentieren zu können. Dabei ist uns dankenswerterweise das Käthe Kollwitz Museum Köln sehr entgegen gekommen, das die Schubladen seines Depots für uns geöffnet hat.
Sie sind seit vielen Jahren Expertin für Käthe Kollwitz – haben Sie bei der Arbeit an dem Buch dennoch Neues über die Künstlerin erfahren?
Oh ja, ich war selbst überrascht darüber, was mir plötzlich klar wurde, als ich mich eingehender mit dem Material beschäftigte. Beispielsweise ist mir erst da deutlich vor Augen getreten, wie bedeutsam nicht erst die Uraufführung der „Weber“ für Käthe Kollwitz war – sie selbst hatte das oft betont –, sondern dass ganz offensichtlich bereits die erste Begegnung der beiden in Erkner wegweisende Folgen für die Künstlerin gehabt haben muss.
Zudem hatte ich geglaubt, dass die schon früher strittige Frage, wann genau Kollwitz und Hauptmann eigentlich erstmals aufeinander getroffen sind, unterdessen gelöst sei. Dass hier ein neuer Spannungsmoment hinzugekommen ist und sich daraus ein richtiger kleiner Krimi entspinnen würde, hatte ich anfangs nicht im Blick, Und schließlich ging mir auf, dass das Drama „Die Weber“ doch mehr mit den grafischen Blättern von Kollwitz zu tun hat als ich bisher annahm. Sehr anregend war für mich außerdem Jovana Reisingers Blick auf Kollwitz, den sie auch im Buch artikuliert: Natürlich weiß ich, dass Künstlerinnen nach wie vor mit Benachteiligungen im Kunstbetrieb zu kämpfen haben. Inwieweit der untypische Erfolg von Käthe Kollwitz aber bis heute Fragen aufwirft, die eine gründlichere Ursachenforschung wünschenswert machen, das hat mir erst Reisingers Text verdeutlicht. Einmal mehr gilt auch hier: Man lernt tatsächlich nie aus.
Herzlichen Dank, Frau Seeler!
Die Fragen stellten Julia Schmitz und Natalie Acksteiner.
Künstlerin & Schriftsteller
Käthe Kollwitz (1867–1945) war Grafikerin, Malerin und Bildhauerin und zählt zu den bekanntesten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre Grafiken, Drucke und Plastiken zeigten persönliche Erfahrungen und das Leben einfacher Leute.
Gerhart Hauptmann (1862–1946) war Dramatiker und Schriftsteller und gilt als der bedeutendste Vertreter des Naturalismus. 1912 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Die Herausgeberin
Annette Seeler studierte Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie in München und Berlin. Seit 1998 arbeitet sie als freie Autorin und Kunstwissenschaftlerin. Sie entwickelte Vorträge sowie Ausstellungs- und Publikationsprojekte für diverse Museen, darunter die Käthe-Kollwitz-Museen in Berlin und Köln und das Paula Modersohn-Becker Museum Bremen.